Da der Weg Richtung Osten eisversperrt zu sein schien, entschieden wir uns für den Versuch, auf der Westseite von James Ross Island weiter Richtung Süden vorzudringen. Auch hier, zwischen Festland (Peninsula) und James Ross Island gab es viel Eis. Die gesamten Buchten der Westseite der Insel, bis auf eine Ausnahme sämtlich nach hochprozentigem benannt (Brandy Bay, Whisky Bay, Rum Bay, Gin Bay), waren alle voller Packeis. Wir hangelten uns nahe des Festlands entlang durchs weniger dichte Gewirr aus Eisbergen, Growlern und Schollen, lernten die heftigen katabatischen Winde kennen und zelebrierten Sir Ernest Shackletons 150. Geburtstag am 15. Februar angemessen mit einem Shackleton Whisky zwar nicht in der Whisky Bay, sondern vor Anker von Long Island.

Getreu dem Motto vom Boss, dass es in der Natur des Menschen liege, Unbekanntes zu entdecken, trafen wir die Entscheidung, uns weiter nach Süden und damit das Abenteuer Umrundung zu wagen.

Nahe des Südkaps der Insel entdeckten wir bei einem Landgang eine alte Depotkiste – Zeugnis aus der Vergangenheit. Vor Snow Hill Island, südöstlich von James Ross Island gelegen, ankerten wir an einem auf Grund gelaufenen Eisberg vor der Schelfeiskante und entschieden uns am nächsten Tag für die Weiterfahrt weiter nach Osten, ganz außen herum. Die dort irgendwo ansässige Kolonie Kaiserpinguine entdeckten wir leider nicht, dafür glitten wir bei strahlendem Sonnenschein und Windstille übers spiegelglatte Wasser, begleitet von zahlreichen Eisbergen in allen Formen und Größen. Wieder in nördlicher Richtung unterwegs trafen wir auf Seymour Island erneut auf Adelie Pinguine und Spuren vergangener Erdzeitalter in Form von zahlreichen Fossilien.

Diese waren auch der Grund für die Schwedische Antarktisexpedition des Geologen Otto Nordenskjöld mit der Antarctica (1901-1904). Er wollte entweder auf Seymour Island oder auf Snow Hill Island überwintern und von dort aus seine Forschungen durchführen. Die Entscheidung fiel damals für Snow Hill Island, wo im Februar 1902 mit dem Bau einer Holzhütte begonnen wurde, welche heute noch steht. Zweimal haben Nordenskjöld und vier weitere Expeditionsmitglieder hier überwintert, geplant im ersten, gezwungenermaßen ein weiteres Jahr – aber das ist eine äußerst spannende Geschichte, die es wert ist, an anderer Stelle etwas ausführlicher erzählt zu werden.

Auch wir hatten uns entschieden, einen kleinen Umweg einzulegen, um zwischen Seymour und James Ross Island nochmals nach Süden an die Nordseite von Snow Hill Island zu segeln, um dort Nordenskjölds Hütte einen Besuch abzustatten. Auf einem kleinen eisfreien Bereich der Insel, einer Mondlandschaft gleich, steht sie schwarzbraun auf einer kleinen Anhöhe und blickt auf ein grandioses Panorama: die gesamte Bucht, tiefblaues Wasser, gespickt mit Eisschollen, Eisbergen, Packeisfeldern … im Hintergrund die majestätischen Berge und Eiskappen von James Ross Island. Ob und wie oft Nordenskjöld einfach diese Aussicht aus seinem Fenster genossen hat, wissen wir nicht. Es war schon sehr besonders, diese kleine Holzhütte, diesen historischen Ort zu betreten. Ehrfürchtig, die Stiefel ausgezogen, schlichen wir auf Wollsocken durch die einfachen Räume; Polargeschichte zu atmen, hier und da originale Relikte, wie den alten Ofen am Esstisch, den Küchenherd, die Arbeitstische oder einige der gesammelten Fossilien der Expeditionsmitglieder zu sehen. Wir tauchten für einen Moment ein in deren Leben und konnten es sich doch so gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen sein mag, an diesem Ort zwei lange, dunkle Antarktische Winter zu verbringen.

Mit der einsetzenden Flut verließen wir diesen geschichtsträchtigen Ort, der Wind hatte aufgefrischt. Nachdem wir uns durchs zunächst dichte Treibeis navigiert hatten und sich dieses allmählich lichtete, setzten wir die Segel, Kurs Nord durch den Erebus und Terror Golf. Auf Höhe von Devil Island trafen wir auf unseren alten Track und somit war die Umrundung perfekt. Im Antarctic Sound feierten wir dieses gelungene Abenteuer mit einem Glas Rum für jeden von uns. Und auch Neptun bekam seinen verdienten Anteil für das sichere Geleit.

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