Weiter nach Süden

Vor zwei Tagen sind wir aufgebrochen von Vernadsky. Die Pause tat uns gut, doch nun wollen wir weiter. Für die meisten Antarktis-Reisenden ist spätestens hier auf Höhe der Ukrainischen Station oder sogar etwas nördlich nach der Durchfahrt des Lemaire Channel, bei Petermann Island Schluss, der südlichste Punkt erreicht und Zeit umzukehren. Nicht jedoch für uns. Wir haben Zeit und Lust, weiter nach Süden vorzudringen. Adelaide Island heißt unser Ziel.

Über den Polarkreis nach Süden

Zum einen bieten sich dort eventuell einige Möglichkeiten für das Mountaineering Team, sich ein paar Tage an Land auszutoben. Zum anderen haben wir Ivan mit an Bord genommen, Biologe aus Vernadsky. Und für diesen ist unser Weg nach Süden eine seltene und wunderbare Möglichkeit, seiner Leidenschaft und Wissenschaft – der Erforschung von antarktischen Pflanzen, insbesondere Moosen – nachzugehen und unterwegs an ausgewählten Orten Proben zu sammeln.

Wir wollen möglichst schnell Richtung Süden in die Marguerite Bay zwischen Adelaide Island und Peninsula / Festland. Das Wetter zeigt sich nicht gerade von seiner besten Seite: es ist trüb, grau und nass. Dazu 30 Knoten Wind, das Wasser – fast schwarz – ist mit kleinen weißen Schaumkrönchen und zahlreichen Eisbergen und Bergy Bits gespickt. Nach vier Stunden blickt man dennoch meist in lachende Gesichter der vor Nässe triefenden Wachhabenden. Das Wetter macht uns auch das Ankern am Abend nicht gerade leicht, ein erster Versuch bei Marie Island scheitert am für den Platz zu starken Wind aus zu falscher Richtung, andere Optionen müssen wir aufgrund zu großer Tiefe verwerfen. So segeln wir weitere zwei Stunden südwärts, bis dann endlich nahe Cape Bellue in einer Bucht der Anker fällt und hält.

Es ist weiter nass und grau, als wir am Mittwoch gegen zehn Uhr den südlichen Polarkreis auf 66 Grad 33´ 55´´ überschreiten. Ein Grund, die Flasche Rum auszupacken und anzustoßen. So eng war’s noch nie im Ruderhaus. Meine Wache hat gerade begonnen, und so habe ich das Glück und die Ehre, während dieses besonderen Ereignisses am Steuer zu stehen, aber auch ich kriege ein Glas in die Hand gedrückt und teile meinen Rum mit Neptun.

Das Grau bleibt uns auch südlich des Polarkreises erhalten, gepaart mit ordentlich Welle aber auch ausreichend Wind, und wir können für gut vier Stunden die Segel setzen, bis wir den Norden von Adelaide Island erreichen. Wir halten uns entlang des Festlands, passieren die Isacke Passage, Hanusse Bay und den engen Gunnel Channel östlich von Hansen Island. Die Wolken hängen tief, das wenige, was wir von der Landschaft entlang von Hinks und Lawrence Channel erhaschen können, ist eisig und vergletschert. Der Wind aus Nordost frischt auf knapp 40 Knoten auf, die Suche nach einem Ankerplatz für die Nacht gestaltet sich erneut nicht ganz leicht, doch wir finden eine kleine Bucht. Die Einfahrt ist kaum erkennbar, Eisberge sitzen auf einer vorgelagerten Moräne fest. Erst im zweiten Versuch hält der Anker, wir haben 80 Meter Kette gesteckt.

Die Nacht wird leider extrem unruhig. Ständig treibt Eis durch die kleine Bucht, erst hinein, dann wieder hinaus, die bei der Ankunft festsitzenden Eisberge sind dank der Tide ebenfalls wieder unterwegs. Die Ankerwache hat extrem viel zu tun, die Selma davon halbwegs freizuhalten. Immerhin haben wir Unterstützung vom Mondlicht. Auch der Anker zerrt an der Kette, der Alarm springt mehrfach an, nicht nur einmal denken wir, jetzt reißt er aus. Dies bewahrheitet sich glücklicherweise nicht, dennoch findet kaum jemand an Bord wirklich Schlaf, und nach einer kurzen Nacht brechen wir früh wieder auf, bevor noch mehr Eis in die Bucht treibt und die Ausfahrt versperrt.

Um vier gibts einen Kaffee, um fünf im Morgengrauen wird der Anker gelichtet. Am Vormittag kommt die Britische Station Rothera in Sicht. Alan war vor einigen Jahren hier als Field Guide und funkt die Station an. Leider erhalten wir trotz dieses vermeintlichen Bonus keine Genehmigung, die Base anzulaufen.

Leonie Islands

In der Ryder Bay setzen wir Ivan auf Leonie Island ab. Während er dort nach Moosen sucht, ankern wir vor Lagoon Island und setzen mit dem Zodiac über. Rothera bittet uns über Funk, nach Anzeichen für das Vogelgrippe Virus Ausschau zu halten. Beim Betreten der Insel riecht es ziemlich übel nach Verwesung. Fünf noch nicht allzu lang tote Skuas liegen in einem engen Bereich um eine kleine Lagune. Dies könnte ein Zeichen für das Virus sein, es sind Altvögel, allesamt ohne erkennbare äußere Verletzungen. Doch als Grund für den üblen Geruch machen wir wenig später eine größere Gruppe Seeelefanten aus, die hier faul, dösend und verdauend liegen. Ein großer Haufen eng aneinander geschmiegter, riesiger, brauner Leiber. Daraus erhebt sich ab und an mal niesend oder rülpsend kurz ein Kopf, schaut uns Störenfriede mit riesigen Kulleraugen an, um unmittelbar danach wieder in die kuschelige Enge der anderen abzutauchen. Oder eine Flosse wird ausgestreckt, um Bauch oder Rücken zu kraulen. Herrlich, dieser Ruhe und Gemütlichkeit zuzuschauen, die nur gestört wird, wenn eines der Tiere meint, sich umdrehen zu wollen, worauf sich die Nachbarn zunächst prustend beschweren, um dann wieder langsam ihre schwerfälligen Körper zurecht zu ruckeln. Schwerfällig sind sie allerdings nur an Land – im Wasser bewegen sich die massigen Tiere erstaunlich elegant und schnell. Das beweist uns ein Exemplar, welches urplötzlich direkt vor uns auftaucht, während wir am Ufer auf das Zodiac warten, um vor Schreck über unsere Anwesenheit unmittelbar darauf wieder abzutauchen und schnell das Weite zu suchen.

Kajakausflug

Wir beschließen, hier die Nacht zu verbringen. Deshalb haben wir noch Zeit für einen Ausflug rund um die Inseln. Ein Teil wählt das Zodiac. Unda, Gerhard, Karen und ich brechen mit drei Kajaks auf. Wir erpaddeln uns ein paar schöne Eisberge und türkisblaue Eisschollen und entdecken eine kleine Bucht, in der wir Pinguine, Weddellrobben und Seeelephanten aus nächster Nähe beobachten können. Doch sie nehmen keine Notiz von uns. Als wir gerade wieder Richtung Selma zurück wollen, entdeckt Karen drei Wale, die offenbar in unsere Richtung unterwegs sind. Erst am Vortag erzählte mir Unda noch von ihrem Wunsch, mit dem Kajak Walen zu begegnen. Mit ihnen zu Paddeln. Auf Augenhöhe sozusagen. Und nun folgte genau das. Eine Stunde Wale Watching vom Feinsten. Die Kurslinien der Wale und unserer Kajaks kreuzten sich im richtigen Augenblick, und wir erlebten einen der wunderbarsten und bewegendsten Momente dieser Reise. Aber davon hat Unda bereits so schön geschrieben.

Die Begegnung mit diesen drei Buckelwalen, besonders der Moment, in dem einer von ihnen genau am Bug unseres Kajaks empor und unmittelbar vor meinen Füßen und neben uns auftauchte, sein Kopf, der riesige Körper, schwarzglänzend, zum Greifen nah … das war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend schön.

Wir waren merkwürdigerweise weder erschrocken, noch hatten wir Angst – dazu war einfach gar keine Zeit. Aber es dauerte einen Moment, bis wir wieder zu atmen wagten, wirklich begriffen, was da gerade eben geschehen war, welches unfassbare Glück wir hatten, dass sich der Wunsch von Unda auf so wunderbare Weise erfüllte.

Auch Ivan, den wir am Abend auf Leonie Island wieder abholten, war glücklich über seine Ausbeute: die vielen Proben an Moosen, Flechten, Gräsern. Eigentlich war uns nach diesem Tag zum Feiern zumute. Aber ein kleines Glas Wein muss an diesem Abend reichen, denn am nächsten Morgen wollen wir wieder ganz früh den Anker lichten und aufbrechen. Zur Südspitze von Adelaide Island, wo wir endlich zur lang ersehnten Mountaineering Tour starten wollen.

Mit dem Kayak unterwegs

Vor drei Tagen schon haben wir die Kajaks aufgebaut. Pjotr hatte sich von der SY Podorange inspirieren lassen, wo wir diese an Deck gut festmachen können. Das Dinghi hat ein wenig Platz gemacht und nun kuscheln sie an steuerbord auf dem Vordeck, passen mit ihrem Rot auch wunderbar zur Selma.

Am besten sind sie natürlich im Einsatz, da haben sie sich schon zweimal gut bewährt.

Den ersten Test haben Ursula und ich auf Hovgaard Island unternommen. Während die anderen auf einer Schneeschuhwanderung unterwegs waren, haben wir es ruhiger angehen lassen, sind zwischen flachen Felsen und Eisbergen gepaddelt und haben die Stille genossen. Wir freuen uns immer wieder neu über jede Pinguinbeobachtung, es ist unmöglich, nicht zu lächeln wenn wir diese drolligen Tiere sehen. Vom Kajak aus, lautlos und auf Augenhöhe, uns ganz viel Zeit lassend, ist es besonders intensiv. Ursula ist zum ersten Mal in ihrem Leben paddelnd unterwegs und verliebt sich sofort in diese Art der Fortbewegung, welcher ich schon lange verfallen bin.

Aus der Ferne hat Woij im Dinghi ein Auge auf uns, könnte in kurzer Zeit bei uns sein, falls wir seine Hilfe benötigen oder der Seeleopard zu viel Interesse zeigt. Aber wir fühlen uns wohl und sicher und freuen uns erst am Ende über eine flotte Rückfahrt, bei welcher Woij uns ans Schlepptau nimmt.

Wir haben wohl ziemlich geschwärmt von unserem Ausflug, denn zwei Tage später sind alle sechs verfügbaren Kajakplätze besetzt, als wir von Vernadzky-Station zunächst zum Wordie-House und danach auf einem Ausflug um Galindez Island unterwegs sind. Diese Runde ist etwas länger, aber die Kajaks erweisen sich als stabil, bequem und mit einem guten Geradeauslauf. Etwa drei Stunden sind wir unterwegs und genießen unseren Ausflug.

Während ich diesen Text schreibe, sind wir schon weiter auf dem Weg nach Süden Richtung Adelaide Island unterwegs und hoffen, unsere Kajaks dort intensiv nutzen zu können. Mein Traum ist es, dann einem Wal zu begegnen, auf Augenhöhe sozusagen. Wir werden sehen 😉

Mit Walen auf Augenhöhe

Zwei Tage später sind wir im Kajak auf kleiner Erkundungsfahrt vor Lagoon Island, als wir drei Buckelwale in den kleinen Sund zwischen den Inseln schwimmen sehen. Sie sind langsam unterwegs, fressend vielleicht.

Wir fangen sofort an zu paddeln, eine gedachte Linie, auf welcher sich unsere Wege schneiden könnten und der Plan geht auf. Immer näher kommen wir ihnen, sind bald nur noch wenige Kajaklängen von ihnen entfernt, dann zwischen ihnen. Wir sehen mal den einen links und einen anderen rechts von uns, hören sie blasen, beobachten sie beim Auf- und Abtauchen. Wir sind fasziniert und aufgeregt, wagen kaum zu atmen und versuchen gleichzeitig, zu paddeln, überall hin zu schauen und zu fotografieren.

Die Buckelwale sind sehr nah, scheinen jedoch keine Notiz von uns zu nehmen. Plötzlich jedoch taucht einer direkt am Boot auf, berührt es am Bug, macht beim Abtauchen eine Welle, die unsere zwei kleinen Kajaks ordentlich schaukeln lässt. Ob aus Interesse an uns oder aus Versehen, wissen wir nicht, und es spielt auch keine Rolle. Wir sind absolut überwältigt, glücklich, voller Adrenalin. Wir wissen gar nicht wohin mit all den Gefühlen, welche uns gerade überfluten, schauen uns an und sind froh, dieses Erlebnis teilen zu können und in den Gesichtern der Anderen die gleiche Faszination zu sehen, die wir selbst gerade erleben.

Glücklich und voller Dankbarkeit für dieses Geschenk beachten wir die drei Wale noch eine kurze Weile, bevor diese weiter ziehen und wir zur Selma zurückkehren.

Vernadsky Station I

Bevor man Vernadsky, die Ukrainische Station, sehen kann, kann man sie riechen. Zumindest vorgestern nachmittag, als wir ankamen, trieb uns der Wind den Geruch der hier ansässigen Gentoo Pinguinkolonie (Eselspinguine) schon aus der Ferne entgegen. Bald darauf tauchten nicht nur jede Menge Pinguine im Wasser und an Land auf und zwischen den Felsen auf, sondern auch die Stationsgebäude.

Vernadsky Base

Wir haben hier zwei Tage Pause eingelegt, uns vor dem Sturm aus SW versteckt, Energie, Wasser und Diesel getankt und die Ukrainer besucht. Die Station ist für ihre Gastfreundschaft kleinen Segelyachten gegenüber bekannt. Die Selma und Piotr sind nach vielen Jahren gern gesehene Gäste, Piotr hat hier enge Freunde.

In einer kleinen Bucht nahe der Station liegt man ruhig und geschützt. Bei der Einfahrt begrüßte uns der hier ansässige Seeleopard und trieb auf seiner Scholle an uns vorbei. Das erste Mal während der Reise werfen wir nicht nur den Anker, sondern bringen auch vier Landleinen aus. Knapp zwei Stunden sind wir damit beschäftigt. An Land werden geeignete Fixpunkte in Form von Felsen oder großen Steinen gesucht, Schlingen gelegt, Schwimmleinen mit dem Dinghi ausgebracht, an den Fixpunkten befestigt und dann von Deck aus so lange nach und nach dicht geholt, bis alles passt und die Selma sicher vertäut ist. Gerade als wir damit fertig sind, biegt eine andere Yacht, die Mon Coeur in die Bucht und legt sich neben uns ins Päckchen. Gennadi, der ukrainische Skipper, ist ebenfalls ein guter Bekannter von Piotr. Er hat die Mon Coeur vor Jahren wieder seefest gemacht, um- und ausgebaut. Stolz erzählt er davon, zeigt uns später sein Boot bis in den letzten Winkel. Alles ist größer und komfortabler als auf der Selma. Allein der Maschinenraum, im dem gleich zwei Mr. Perkins ihren Dienst tun, ist so groß wie unser ganzer Salon. Die Kabinen haben je ein eigenes Bad, die Küche ist riesig, es ist warm. Viel zu warm für unsere Verhältnisse. Wir sind froh, später wieder auf der Selma zu sein, wir haben uns an die 10-15 Grad unter Deck gewöhnt und lieben sie genau so wie sie ist.

Herzlich Willkommen

Piotr ist abends auf die Station eingeladen. Es ist ein besonderer Tag. Es ist der 24. Februar. Heute geht der russische Angriffskrieg in der Ukraine ins dritte Jahr. Das ist hier auf der Station natürlich extrem präsent, obwohl die Heimat unerreichbar weit entfernt ist: 15.168 km sind es bis Kyiv. Doch viele der derzeit 26 hier arbeitenden Stationsmitglieder waren vor der Saison an der Front und / oder müssen nach dem Wechsel im April an diese zurück. Alle bangen um ihre Familien und Freunde in der Heimat. Diese schmerzhafte Realität begleitet die Menschen hier tagtäglich und an diesem Tag ganz besonders. Sie holt damit auch uns in unserer glücklichen und friedlichen „Blase“ unterwegs an Bord der Selma ein. Wir sind hier unten tief im Süden zwar am Ende der Welt, aber noch immer ein Teil von ihr.

Umso bewegender sind die warme Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden und die Gastfreundschaft, die uns hier in diesen zwei Tagen entgegenschlägt: wir bekommen jede Menge frisches Brot und einen großen Topf Borschtsch, eine ausführliche Führung durch die gesamte Station und Einblicke in deren Geschichte und Forschungsarbeit. Seit 1996 wird die ehemals Britische Station von der Ukraine betrieben, benannt ist sie nach dem ukrainischen Geologen, Mineralogen, Geo- und Biochemiker Vernadsky.

Historische Bilder an den Wänden füllen die Gänge der Station, die Gruppenfotos der jeweiligen Überwinterer-Teams der Stationsgeschichte – egal ob britisch oder ukrainisch – hängen im Treppenaufgang zum Obergeschoss. Wir dürfen einen Blick in die Labors der Biologen, Seismologen, Geologen, Meteorologen … werfen. Wir bekommen den Hauch einer Ahnung der komplexen Zusammenhänge zwischen Klimaveränderungen, wärmeren Temperaturen, migrierenden Pinguinen, deren Guano, dem darauf folgenden Bewuchs erstbesiedelnder Algen … und den sich dadurch verändernden Inseln und Landschaften der Antarktischen Halbinsel. Die Station, die sich Galindez Island mit einer seit Jahren wachsenden Kolonie von Gentoo Pinguinen teilt, kann ein Lied davon singen.

Wellness

Das beste aber sind die heiße Dusche und der anschließende Besuch in der Sauna.

Ausgiebig genießen wir nach langer Zeit den Luxus fließend warmen Wassers. Die Frauendusche der Station ist derzeit mangels weiblicher Belegschaft meist ungenutzt, bzw. wird sie als Zwischenlager für verschiedenewissenschaftliche Proben genutzt – neben unseren Klamotten stapeln sich zahlreiche nummerierte Tüten. Ein neugieriger Blick offenbart den Inhalt: es sind Ivans Moose, die hier auf weitere wissenschaftliche Untersuchung warten.

Die Sauna – oder banja – ist aber das Größte! Eine kleine Holzhütte auf einem Felsen, circa. 300 Meter vom Stationsgebäude entfernt wartet auf uns. Es gibt zwei Möglichkeiten, dorthin zu kommen: auf dem Landweg mitten durch die Pinguinkolonie oder per Boot. Wir wählen den Seeweg und das Dinghi. Eine abenteuerliche, etwas verwitterte Holzleiter führt einen Felsen hinauf zur Hütte. Die Stufen sind glitschig, ebenso wie der Vorplatz. Das kleine Holzdeck wird, wie die Leiter auch, ab und an auch von Pinguinen genutzt, die überall um uns herum, direkt neben und hinter der Sauna stehen, liegen, rufen. Die Szenerie ist einfach unglaublich.

Wir entledigen uns schnell unserer Gummistiefel und Klamotten und schlüpfen hinein in die wohlige Wärme. Genießen die 90 Grad trockene, knackende Hitze, den dampfenden Aufguss. Stehen danach dampfend draußen in der frostigen Kälte. Überlegen kurz und kraxeln dann die glitschigen Stufen hinab, über die Felsen und wagen den Tauchgang im antarktischen Ozean. Sind hinterher elektrisiert, voller Energie, alles prickelt wie tausend feine Nadeln. Stehen grinsend, ein kühles Bier und den Blick auf Meer, Eisberge, Pinguine genießend draußen in der Dämmerung. Wärmen uns auf in der Hütte und schlüpfen dann erneut an den heißen Ofen auf die hölzernen Bänke. Dreimal gönnen wir uns diesen Luxus, bevor wir sauber und warm wie schon lange nicht mehr hinüber wechseln in die Bar der Station. Hier werden wir mit Musik, Getränken und einem kleinen Buffett empfangen. Es wird ein wunderbarer Abend gemeinsam mit unseren ukrainischen Gastgebern und der Crew der Mon Coeur – bei Bier, Wein, Cocktails, Pool Billard, anregenden und bewegenden Gesprächen, die uns nicht nur während der mitternächtlichen Überfahrt zur Selma begleiten.

Wordie House

Wir starten mit einem späten, üppigen Frühstück in den nächsten Morgen und freuen uns auf einen Tag hier in Vernadsky. Kein Anker lichten, keine Wachen, keine kalten Stunden am Ruder… einfach ein ganzer Tag Pause. Frei sozusagen. Naja, nicht ganz. Zunächst bekommen wir eine Lieferung Treibstoff. Vier schwere 200 Liter Fässer Diesel werden an Deck gewinscht. Während Piotr sich in den folgenden Stunden um das Umfüllen in unsere Tanks kümmert, brechen wir zu einem Kajak-Ausflug auf.

Wir paddeln zum benachbarten Wordie House auf Winter Island. Die ehemalige Britische Forschungsstation Faraday ist ein historisches Denkmal aus den frühen Zeiten der wissenschaftlichen Antarktisgeschichte, wurde 1947 erbaut, 1954 bereits wieder geschlossen. Namensgeber des ehemaligen Hauptgebäudes der Station F war James Wordie, schottischer Polarforscher und Geologe, der u.a. als wissenschaftlicher Leiter an Shackletons Endurance Expedition teilnahm. Das Gebäude steht auf den Fundamenten einer früheren Hütte der britischen Graham Land Expedition 1935-1936.

Heute ist Wordie House ein kleines Museum: Als Besucher begibt man sich auf eine Zeitreise, 70 Jahre zurück in die Anfangszeit der britischen Antarktis Stationen. Die Räume, allesamt im Originalzustand bieten einen kleinen Einblick in die wissenschaftliche Arbeit und das Stationsleben. Davon zeugen historische Messgeräte und wissenschaftliches Material in den Arbeitsräumen, die Werkstatt oder Ausrüstung wie Tauchgeräte, Schneeschuhe, Hundegeschirre. Die Küche samt Vorräten und Lebensmitteln wäre noch einsatzbereit. Der angrenzende Salon ist Wohn- und Schlafraum in einem. Die Jacken hängen teils noch an den Betten, Schuhe stehen im Regal. Spiele, Bücher, Darts oder die Gitarre haben in den langen, dunklen Wintermonaten für Abwechslung gesorgt. Ich liebe diese Zeitreisen, atme gern den Geruch vergangener Epochen, der noch immer in den Räumen hängt. Manchmal meint man, noch die Anwesenheit derer, die hier einst lebten, spüren zu können.

Ein kurzer Aufstieg auf den benachbarten Gletscher und Gipfel von Winter Island bietet einen schönen Rundumblick auf die Station und die Argentine Islands. Danach geht es weiter im Kajak zwischen und rund um die Inseln, entlang von gletscherblauen Eisbergen, springenden Pinguinen, vorbeisegelnden Kormoranen (Arctic Shag) und faul auf vorbei treibenden Schollen liegenden Krabbenfresser- und Weddellrobben. Auch den Seeleopard treffen wir wieder, diesmal zeigt er jedoch kein gesteigertes Interesse an uns. Nach vier Stunden passieren wir wieder die Station und kehren auf die Selma zurück.

Crew Erweiterung

Am Nachmittag bricht das Mountaineering Team noch einmal auf zum benachbarten Gletscher. Safety Training steht auf dem Programm. Alan, der regelmäßig in Schottland für die Mountain Rescue im Einsatz ist, übt geduldig mit uns verschiedene Spaltenbergungstechniken. Nach knapp drei Stunden sind wir durchgefroren und beenden unsere Übungseinheit.

Die Selma liegt mittlerweile nahe des kleinen Holzpiers der Station und hat Frischwasser gebunkert. Wir rücken zusammen, räumen unsere Vorräte um und machen Platz in der Achterkabine um Ivan mit an Bord zu nehmen. Der Biologe wird uns ein paar Tage begleiten, unser Weg nach Süden ist für ihn eine prima Gelegenheit, an abgelegenen Stellen, die sonst außerhalb seiner Reichweite liegen, nach Proben zu suchen. Derweil bleibt unsere Unterwasserdrohne in der Station, um dort die Wissenschaftler zu unterstützen.

Morgen geht es weiter nach Süden. Mit nun 12 Mann an Bord, neu eingeteilten Wachen, Forscherdrang und jeder Menge Neugier. Und der schönen Gewissheit, dass wir demnächst erneut wieder hier an diesem wunderbaren Ort vorbeikommen werden – mindestens, um Ivan abzusetzen. Vielleicht aber auch, um noch ein weiteres Mal in den Genuss der herzlichen ukrainischen Gastfreundschaft und der schönsten Sauna der Welt zu kommen.

Westküste — Lemaire Channel

Wir verlassen den unglaublich schönen aber unruhigen Ankerplatz im frühen Morgengrauen. Direkt um die Ecke wartet die spektakuläre Einfahrt in den Lemaire Channel auf uns. Diese sechs Kilometer lange Meerenge zwischen der Halbinsel und der vorgelagerten Booth Insel ist sehr schmal, an ihrer engsten Stelle misst sie nur 720 m Breite. Für uns kleine Yacht allemal viel Platz, auch wenn wir aufgrund des vielen Eises ordentlich Slalom fahren müssen. Große Kreuzfahrer entgegen kündigen ihre Durchfahrt auf Funk an, da jeweils nur ein Schiff den Kanal passieren kann. Zu beiden Seiten des Kanals erheben sich die Berge auf bis zu 1.000 Meter Höhe. Gepaart mit zahlreichen Gletschern eine spektakuläre Kulisse, die die Durchfahrt zu einem beeindruckenden Erlebnis macht.

Auf der Südseite erwarten uns zahlreiche blaue Eisberge, und Hovgaard Island – eine größere Insel inmitten einer sich hier west- und südwärts ausbreitenden Schärenlandschaft aus zahlreichen kleinen, meist flachen Inseln. Gegen neun Uhr fällt der Anker. Die Insel ist von einer sanft gerundeten, schneeweißen Gletscherkappe bedeckt. Deren 368 Meter hohen Gipfel will ein Großteil von uns besteigen. Unda und Ursula ziehen derweil eine kleine Tour im Kajak zu den benachbarten Pinguinen vor.

Wir packen die Schneeschuhe ins Zodiac und werden während der Überfahrt zur Insel wie bereits bei Astrolabe Island von einem neugierigen Seeleoparden begleitet und verfolgt. Etwas zu neugierig für unser Empfinden, beginnt er doch nach einiger Zeit immer wieder die Seitenwände des Dingis mit Kopf und Körper zu streifen, taucht unter uns hindurch, schwimmt uns wieder an … Im glasklaren Wasser ist er gut zu sehen, seine Kraft und Eleganz sind beeindruckend, sein aus der Nähe riesiger Kopf und das plötzlich geöffnete Maul sind es auch. Wir haben erneut das Bild dieser spitzen Zähne im orangefarbenen Gummi vor Augen und beschleunigen. Der Seeleopard auch. Und er ist schnell – klar, schließlich jagt er mit Vorliebe pfeilschnelle Pinguine. Wirklich abschütteln können wir ihn nicht. Wir sind froh, als wir an Land kraxeln, wünschen Voj eine gute Rückfahrt, ziehen unsere Schneeschuhe an und sind startklar.

Knapp anderthalb Stunden brauchen wir für den Aufstieg auf den von unten so unscheinbar aussehenden Hügel. Kleine schwarze Punkte in der weißen, weiten Landschaft. Der Gletscher ist schneebedeckt. Je höher wir kommen, umso schöner der Ausblick auf die Schärenlandschaft, die unzähligen blauweißen Eisberge, die Eiswürfeln gleich im Meer treiben, auf das südliche Portal des Lemaire Channels und die Gipfel der Antarktischen Halbinsel, die leider größtenteils in höheren Wolkenschichten verborgen bleiben. Und ganz klein da unten, zwischen all dieser Pracht liegt unsere rote Selma.

Es tut gut, mal wieder ausgiebig die Beine zu bewegen und wir genießen die Abwechslung dieser Schneeschuhtour sehr. Wieder zurück an der Küste interessiert sich ein Skua für unsere Schneeschuhe, und wir entdecken ein altes Depot, noch immer gefüllt mit Vorräten und Notfall-Equipment. Alan identifiziert es aufgrund seines Inhaltes und der Farbcodierungen als eindeutig britisch. Auf dem Rückweg bleiben wir diesmal unbehelligt, Voj und wir nehmen mit dem Zodiac eine andere Strecke, um dem Seeleoparden nicht erneut sein Revier streitig zu machen.

Nach einer Stärkung lichten wir den Anker und brechen auf, Kurs Süd. Circa zwei Stunden sind es bis zur ukrainischen Vernadsky Station. Das ist unser nächstes Ziel. Hier wollen wir Piotrs Freunden einen Besuch abstatten und eine zweitägige Pause einlegen, um etwas Ruhe zu finden und dem angesagten Starkwind der nächsten Tage aus dem Weg zu gehen. Wir sind gespannt.

Westküste — Cape Renard

Am nächsten Morgen brechen wir auf, wir wollen weiter auf dem Weg nach Süden. Die argentinische Station Almirante Braun lassen wir schnell im Kielwasser zurück. Noch ist es grau und trüb, aber im Ferguson Channel kommt die Sonne raus. Und bald haben wir auch gute 20 Knoten Wind aus SW. Wir setzen die Segel und die Selma ist in ihrem Element. Zwischen der Halbinsel und Wiencke Island genießen wir das Segeln und kreuzen uns Wende für Wende nach Süden. Endlich haben wir mal Gelegenheit, dies bei guten Bedingungen und halbwegs ohne permanente Eis Kollisions Gefahr zu üben. Es macht einen Heidenspaß. Wir segeln in die Flanders Bay und dann westwärts zum Cape Renard. Der Wind nimmt ab, das Eis zu. Wir tauschen die Segel gegen Mr. Perkins, fahren wieder Slalom und bestaunen die unzähligen Eisgebilde und Eisberge um uns herum – einer schöner als der andere, Blautöne, die so tief sind, dass man darin versinken mag.

Am Cape Renard wird die unendlich schöne Szenerie komplettiert durch zackige, alpine Gipfel und Gletscher, ein paar wenige Pinguine und die ein oder andere Weddellrobbe und Leopardenrobbe auf einer vorbeitreibenden Scholle. Mit dem Zodiac fahren wir später noch durch ein Labyrinth aus dichtem und bewegten Eis, um uns die Robben ganz aus der Nähe anzuschauen. Die Mühe wird belohnt – obwohl gemütlich vor sich hin dösend, nehmen sie Notiz von uns, heben immerhin ihre Köpfe und würdigen uns eines kurzen Blickes, bevor sie wieder ihre gemütliche Schlummerpose einnehmen.

Cape Renard bleibt unser Ankerplatz für die Nacht. Die Sonne macht langsam der Dämmerung Platz, die Wolken am Himmel glühen in dramatischem orangegold über den Gipfeln.

So ruhig und schön der Abend ausklingt, so anstrengend wird leider die Nacht. Die Kombination aus viel Eis, viel Strömung in der Bucht, Tide und immer wieder drehendem Wind hält die Eiswache permanent auf Trab. Eisberge kommen herein, und kaum dass man sie an der Selma vorbei gelotst hat, dreht der Wind und / oder ändert sich die Strömung und sie treiben zurück und erneut auf uns zu. Wir konzentrieren uns nur noch auf die größeren Brocken. Im fünf Minuten Takt wird die Stange bemüht und werden Schollen und Bergy Bits versucht, auf Abstand zu halten. Bei derart starker Strömung und Geschwindigkeit des Eises klappt das nicht immer. Und ab einer gewissen Größe hat Mensch sowieso das Nachsehen. Dann müssen Skipper und Mr. Perkins in Personalunion ran. Viel Schlaf kommt dabei nicht herum, weder an Deck, noch in den Kojen, in denen das andauernde Gerumpel an Deck und entlang der Bordwand so manchem den Schlaf raubt.

Westküste — Kurs Süd

Wir setzen Kurs Süd. Lassen Tower Island und Trinity Island steuerbords liegen. Das ungemütliche Wetter und zahlreiche Eisberge bleiben unsere Begleiter. Am Bug werden Strahler für die Nacht installiert. Abends beginnt es zu schneien. Im Licht der Bugscheinwerfer verweht der kräftige Wind die Schneeflocken zu weißen horizontalen Streifen, stroboskopartig. Die Sicht ist gleich Null. Wir lassen die Lampen aus und starren lieber ins Dunkel. Mit Hilfe des Radars arbeiten wir uns durch die Nacht nach Süden. Das Morgengrauen lässt sich Zeit. Die Wache am Ruder wird zur Geduldsprobe. Nur langsam tauchen die ersten Schemen der Eisberge aus der Dunkelheit auf, so dass wir uns endlich wieder auf unsere Augen verlassen können. Der Schnee der vergangenen Nacht bedeckt weiß und nass alles an Deck. Schnee schippen ist angesagt.

Mit dem Tageslicht kommt die Helligkeit zurück, es klart etwas auf, sogar die Sonne lässt sich etwas blicken. Wir nähern uns langsam dem gut besuchten Teil der Antarktis und treffen ab und an ein Kreuzfahrtschiff. In der Mehrheit sind es jedoch Wale, die wir in der Gerlache Strait sichten. Sie kommen uns meist entgegen, ziehen in einiger Entfernung nordwärts an uns vorbei. Oft einzeln, manchmal zu zweit, im Viertelstundentakt. Irgendwann hören wir auf zu zählen und der laute Ruf des Rudergängers „Wal“ ertönt nur noch selten.

Wir stoppen am Nachmittag kurz in Cuverville Island. Die Sonne strahlt über einer alpinen Gletscherkulisse. Die Szenerie ist fantastisch, Pinguine rufen und springen um die Wette, auf der Insel leuchten farbenprächtige Flechten und Moose. Wir treffen die Spirit of Sydney und ankern in deren Nähe. Die Yacht von Darrel wäre auch eine Option für uns gewesen – wir sind jedoch sehr froh, uns für die Selma entschieden zu haben.

Auf einer kleinen Insel liegt das Wrack eines kleinen Holzbootes neben einer im Gegensatz dazu riesigen rostigen Kette – die Frage, wie beides zusammen passt, lässt sich nicht beantworten, wahrscheinlich sind es Überbleibsel aus Walfängerzeiten. Auf Cuverville lebt eine Gentoo Pinguin (Eselspinguin) Kolonie. Wir gehen an Land und haben Zeit, das bunte Treiben zu beobachten. Auch hier wieder zahlreiche Küken, die hungrig ihren Eltern hinterher eilen, unentschlossene Schwimmer, neugierige Exemplare, die sich über uns merkwürdige Riesenpinguine wundern mögen. Ein Pinguin Highway – eine schmale Schneise im Schnee – führt den Hügel hinauf. Es sieht lustig aus, wenn die kleinen Kerle hinauf wandern, vor allem, wenn sie sich entgegen kommen und entscheiden, wer zuerst am anderen vorbei darf.

Die Ausfahrt aus der Bucht ist äußerst eisig und kostet entsprechend viel Zeit. Wir passieren den Errera Channel und die Graham Passage. Schmal, links und rechts alpin aufragende, von Gletschern bedeckte Gipfel. Um Mitternacht fällt der Anker in Hidden Bay, südlich von Paradise Bay, eine klitzekleine Bucht, von Gletschern umgeben. Hier verbringen wir gut geschützt die Nacht. Die Ankerwache ist diesmal besonders schön: der Vollmond verschwindet hinter dem Gletscher und macht einem klaren Sternenhimmel Platz, der sich über dem Firmament und zwischen den Masten der Selma aufspannt. Das Eis um uns herum bleibt meist ruhig, nur im Gletscher kracht und knallt es ab und an, irgendwo geht eine kleine Lawine ab, man hört es rumpeln und Minuten darauf die Welle in die Bucht rauschen. Die Selma schaukelt leicht hin und her und wiegt uns sanft in einen wohlverdienten Schlaf.

Westküste — Astrolabe Island und Bransfield Strait

Nun sind wir seit drei Tagen auf der Westseite der Antarktischen Halbinsel unterwegs. Und – verglichen mit der Ostseite – in einer anderen Welt. Sowohl Landschaft, als auch Wetter haben sich verändert.

Nach Start am Dienstag Morgen in der Hope Bay, Antarctic Sound, sind wir Tag und Nacht durchgesegelt. In der Bransfield Strait ist es grau, kalt und nass geworden, immer wieder regnet es. Wind um die 20-25 Knoten aus SW. Wir haben zunächst Kurs Richtung South Shetlands gesetzt, kreuzen später südwärts. Unser Ziel Astrolabe Island taucht im Morgengrauen aus dem Nebel auf. Eine Kolonie Chinstrap Pinguine (Kehlstreifenpinguine) nistet hier. Das Anlanden erweist sich als schwierig. Mehr als einige Meter können wir die schwarze, steinige Küste nicht erklimmen: linkerhand döst eine Gruppe Pelzrobben auf dem Eis, rechterhand haben die Pinguine das Sagen. Das Wetter ist so ungemütlich, dass selbst sie zweifelnd am Ufer stehen und den Schritt, in den Ozean zu tauchen längstmöglich hinauszuzögern scheinen. Wir entscheiden uns, die Küste eher vom Dinghi aus zu erkunden. Ein Wal zieht in der Nähe vorbei und als er abtaucht bekommen wir Besuch von einem Seeleoparden. Neugierig nimmt er Kontakt auf, scheint sich sehr für das orangefarbene Gummiding, in dem wir sitzen, zu interessieren. Er folgt uns, taucht immer wieder ab und plötzlich neben dem Boot wieder auf oder darunter hindurch. Er ist unglaublich schnell, im klaren Wasser gut zu beobachten. Aus unmittelbarer Nähe wirkt er imposant, der Kopf und das Maul riesig, nicht mehr so freundlich lächelnd, wie jene, die wir friedlich auf einer Eisscholle schlummernd getroffen haben. Es wird uns ein wenig mulmig, der Gedanke an ein Aufeinandertreffen von Gebiss und Gummi mit ungewissem Ausgang lässt uns zumindest vorsorglich zu den Paddeln greifen. Mehr als eine halbe Stunde dauert diese gegenseitige Begegnung, dann treten wir den Rückzug auf die sichere Selma an.

Ciao Weddell Meer

Wir haben sie geschafft, die Umrundung von James Ross Island!!

Und nicht nur irgendwie, sondern es war ein Fest!

So viel Wildlife, Insellandschaft, ungezählte naturgeschaffene Eisskulpturen, Historie (von Fossilien bis zu Hütten mutiger Antarktisforscher Anfang des letzten Jahrhunderts) haben wir gesehen und viele spannende Stunden erlebt. Ob gemeinsam dicht gepackte Eisschollengebiete durchfahrend oder Nachts allein über Anker, angeleinte Eisberge oder treibende Schiffe wachend, im Dunkel unvertrauten Geräuschen wie Pinguinen, Walen und knackendem Eis lauschend.

Dabei stets gut gelaunt die ganze Bandbreite genießend, am meisten vielleicht die fast wie Ferienlager anmutenden Zeiten an Deck, in der wärmenden Sonne dem Gitarrenspiel von Alan lauschend.

Nach 8 Tagen waren wir wieder an unserem Ankerplatz in Brown Bluff, haben mit Kraken-Rum auf unseren Erfolg angestoßen und auch Neptun und seiner Frau mit je einem Gläschen gehuldigt.

Der Abend war lustig, wenngleich nicht lang. Das Wachsystem mit wechselnden Schichten rund um die Uhr, die vielen Eindrücke und Erlebnisse, Landgänge, frische Luft und gutes Essen (die Kombüsenteams zaubern immer wieder erstaunliche Kreationen auf engstem Raum) machen müde.

Außerdem sind wir nun seit 18 Tagen unterwegs, 11 Menschen auf engstem Raum. Da braucht der ein oder andere auch mal Raum und Zeit für sich, zieht sich dann mit einem Buch oder Kopfhörern und Lieblingsmusik in seine Koje zurück.

Darüber hinaus ist es im Schlafsack immer noch am kuscheligsten. Der wärmste Raum ist das Pilothaus, da sind oft so um die 12-15C, außerdem hat man dort Aussicht, ohne an Deck im Wind stehen zu müssen. Die 2 Plätze (3 wenn man gern kuschelt) sind meistens belegt. Unten im Salon sind es 8C, das ist schon frisch, wenn man länger sitzt, ohne sich zu bewegen, kalte Füße habe ich oft. Insgesamt gewöhnt sich der Körper aber gut an die kühleren Temperaturen, außerdem sind natürlich wärmende Schichten aus Wolle und Daunen bekannter Outdoormarken zahlreich an Bord und werden in Schichten übereinander getragen. So wohltuend ist es, hier keinen Dresscodes oder Eitelkeiten unterworfen zu sein, vielmehr versucht jeder, genug anzuziehen, um sich „weddellrobbenwohl“ zu fühlen.

Draußen hat sich die Szenerie geändert.

Im Wedell-Meer hatten wir immer Land und/oder Inseln in Sicht, waren dadurch geschützt, hatten viel treibendes Eis um uns herum.

Jetzt sind wir in der Bransfield Strait unterwegs, nächstes Zwischenziel ist die kleine Insel Astrolabe. Wind aus West (wir werden Kreuzen müssen), die See ist rauh, kein Land zu sehen, nur einige größere Tafeleisberge in einiger Entfernung.

Unter Segeln auf zu neuen Abenteuern, zur Erkundung der Westküste der Antarktischen Halbinsel.

Seitenwechsel

Endlich! Wir segeln wieder!

Haben nach gestrigen 40 Knoten Wind direkt auf die Nase und einer anfangs sehr unruhigen Nacht vor Anker in der Hope Bay im Antarctic Sound nun moderate 25 Knoten Wind aus WSW. Das zuletzt mangels Wind und / oder zu viel Eis vertraut gewordene, aber dennoch unbeliebte Geräusch von Mr. Perkins ist verstummt und hat Platz gemacht. Zwar nicht der Stille im herkömmlichen Sinne, aber der Stille des Segelns: dem Pfeifen des Windes in den Segeln und Wanten, dem Gurgeln des Wassers entlang des Rumpfes, dem Rauschen und Schlagen einer überkommenden Welle und Rumpeln und Klappern des Geschirrs in den Schränken. Drei Segel sind gesetzt: die Fock, das Groß im dritten Reff, der Besan. Die Selma rauscht mit 11 Knoten dahin.

Auch die Sonne der letzten Tage hat sich gestern Abend mit einem Finale furioso von uns verabschiedet: goldgelb, orange leuchtende Wolken, vom starken Höhenwind teils zu geschichteten Linsen verweht, dramatisch leuchtend vorm düster dunkelgrauen Himmel. Sie hat Platz gemacht für einen bleigrauen verwaschenen, nebligen Himmel über schwer bewegter See in der Farbe von Schwarzstahl. Komplettiert vom Weißgrau, graublau, weißblau, oder tiefblau vorbeiziehender Eisberg Giganten – manche im fernen Dunst vorbeitreibend, mal perfekte geometrische Formen, mal Märchenschlössern oder Hochhäusern ähnelnd, einige in fast schon beunruhigender Nähe, zum Greifen nah. Man meinte, man könne die Hand ausstrecken und hinüber langen, um diese glatt schimmernde Oberfläche zu berühren.

Nach gut einer Woche im Weddell Meer auf der Ostseite der Antarktischen Halbinsel ist es Zeit für einen Seitenwechsel. Wir haben gestern den Antarctic Sound passiert und sind nun unterwegs in der Bransfield Strait. Ziel der nächsten Etappe ist die Westseite der Peninsula. Allerdings zwingt uns der Wind zu einem Umweg über, oder zumindest in die Richtung der South Shetlands. Doch wir sind flexibel und haben Zeit, daher freuen wir uns über die Ruhe und den Rhythmus, den das Segeln eines größeren Schlages mit sich bringt. Uns wachsen wieder Seebeine, wir genießen (bis auf ein Opfer der Seekrankheit) die souveränen Bewegungen der Selma im Spiel der Wellen, die visuelle Reduktion auf Himmel, Horizont und Ozean und die Gelegenheit, die unzähligen Eindrücke der vergangenen Tage zu verarbeiten.

Tierisch was los

Wir wurden beschenkt mit zahlreichen Tierbegegnungen, die unvergesslich bleiben werden.

Den Albatrossen und Sturmvögeln der Drake Passage folgten die Pinguine. Auch diese verdienen eigentlich ein ganz eigenes Kapitel. Ich hätte es – zumindest für mich – nicht für möglich gehalten, aber man verliebt sich auf der Stelle Hals über Kopf in diese Geschöpfe. In ihre unfreiwillig komische Art, ihre Neugier, ihre manchmal tollpatschig wirkenden Bewegungen an Land, ihre Pfeilschnelligkeit im Wasser. Wir trafen Adelie, Gentoo und Chinstrap Pinguine, hatten das Glück, jeweils Zeit in deren Kolonien verbringen zu können, sie in Ruhe zu beobachten. Das kann man stundenlang tun – es wird nie langweilig. Ihre Kommunikation, ihre Gruppendynamik, hungrige Küken, die ihren genervten Eltern hinterher eilen. Wir fanden sie draußen auf See, beim Schwimmen wie Torpedos immer wieder aus dem Wasser schiessend, in Gruppen oder manchmal auch ganz allein auf großer Fahrt auf einer Eisscholle vorbei treibend. So auch zwei junge Kaiserpinguine, die Kolonie blieb uns ja leider verwehrt.

Oft begegneten wir Skuas, Raubmöwen, die sich der Beute wegen (Pinguinküken) bevorzugt in der Nähe von Kolonien aufhalten. Die ihrerseits die eigenen Küken vehement verteidigen und Eindringlinge wie uns, die versehentlich den Nestern am Boden mal zu nahe kommen, durch deutliche Signale – lautes Geschrei und auch zielgerichtetes Anfliegen – klar zum Rückzug auffordern.

Wir trafen Robben aller Art, manchmal elegant schwimmend im Wasser, öfter faul auf einer Eisscholle liegend und dösend oder an Land. Wir sind – ganz Antarktis Anfänger – anfangs fast über zahlreiche am Strand schlafende Pelzrobben gestolpert (mittlerweile haben wir ein geübtes Auge dafür, was ein harmloser Stein und was eine schlafende Robbe ist). Wir haben ein schlafendes Seeelefanten Pärchen beim Kuscheln entdeckt und in die kugelrunden, riesigen, schwarzen Kulleraugen der Weddellrobben geblickt, die gern mal gelangweilt, mal neugierig schauen, wer da so kommt, kurz den Kopf heben, um sich dann aber sofort beruhigt wieder mit der Flosse irgendwo zu kratzen.

Und wir haben den König der antarktischen Nahrungskette (neben den Orcas) kennengelernt: den Seeleoparden (oder Leopardenrobbe). Groß, schlank, stromlinienförmig oft solo auf dem Eis liegend, sehen sie mit ihrem lächelnden Gesicht eigentlich freundlich aus. Im Wasser aber werden sie zum gnadenlosen Beutejäger und gehen dabei nicht gerade zimperlich mit ihrem Lieblingsfutter Pinguin um. Diese werden an den Füßen geschnappt und dann so lange immer wieder herumgewirbelt und auf die Wasseroberfläche (wahlweise auch an einen Eisberg) aufgeschlagen, bis sie nach geraumer Zeit entbalgt (federlos) und somit zum Verzehr bereit sind. Das war ein wirklich beeindruckendes Schauspiel.

Und wir trafen natürlich Wale! Angekündigt in der Regel durch einen lauten Ruf „Wal!“ von der Ruderwache am Steuerrad. Und wer noch nicht sowieso schon an Deck war, der kroch rasch aus dem Ruderhaus oder dem Salon. Die Wale zogen an uns vorbei, mal in weiter Ferne, mal ganz nah am Boot. Mal allein, oft zu zweit oder in kleinen Gruppen von drei bis vier Tieren. Meist waren es Buckelwale. Schön, wie sie sanft und ruhig durchs Wasser ziehen, wunderschön, ihre Fluken beim Abtauchen zu sehen. Viel beeindruckender jedoch, ihre Geräusche zu hören, das Schnaufen beim Blas, das Pfeifen beim Atmen. Laut und kraftvoll. Erst recht, wenn sie in Gruppen unterwegs waren. Gänsehautgefühl und Ehrfurcht. So auch bei den Begegnungen mit Orcas. In Gruppen unterwegs, zunächst oft nur das riesige Schwert der Finnen zu sehen, aus der Nähe dann die grau glänzenden Körper, die elegant durchs Wasser pflügen. In diesen Momenten war es ganz still an Deck, alle starrten gebannt aufs Wasser und nur das Ausatmen der Tiere war zu hören. Keiner bewegte sich oder verließ das Schauspiel, bevor nicht die letzte Finne wieder abgetaucht war.

Vielfältig und wunderschön ist die hiesige Tierwelt. Und auch die Grundlage all dieses reichen Lebens haben wir gesehen: den Krill. Wenn dieser in Schwärmen durchs Wasser zieht, kräuselt sich die Oberfläche, Ein wenig, als würde das Meer kochen. Sprudelnd und voller Leben.

Und damit schließt sich der Kreis. So wie sich der Kreis unserer Umrundung im Weddell Meer geschlossen hat.

Wir sind dankbar, dies erleben zu dürfen. Nun sind wir bereit für die andere Seite der Antarktischen Halbinsel, in der uns – zumindest teilweise – eine ganz neue Welt, eine ganz andere Seite der Antarktis erwartet.

Umrundung

Da der Weg Richtung Osten eisversperrt zu sein schien, entschieden wir uns für den Versuch, auf der Westseite von James Ross Island weiter Richtung Süden vorzudringen. Auch hier, zwischen Festland (Peninsula) und James Ross Island gab es viel Eis. Die gesamten Buchten der Westseite der Insel, bis auf eine Ausnahme sämtlich nach hochprozentigem benannt (Brandy Bay, Whisky Bay, Rum Bay, Gin Bay), waren alle voller Packeis. Wir hangelten uns nahe des Festlands entlang durchs weniger dichte Gewirr aus Eisbergen, Growlern und Schollen, lernten die heftigen katabatischen Winde kennen und zelebrierten Sir Ernest Shackletons 150. Geburtstag am 15. Februar angemessen mit einem Shackleton Whisky zwar nicht in der Whisky Bay, sondern vor Anker von Long Island.

Getreu dem Motto vom Boss, dass es in der Natur des Menschen liege, Unbekanntes zu entdecken, trafen wir die Entscheidung, uns weiter nach Süden und damit das Abenteuer Umrundung zu wagen.

Nahe des Südkaps der Insel entdeckten wir bei einem Landgang eine alte Depotkiste – Zeugnis aus der Vergangenheit. Vor Snow Hill Island, südöstlich von James Ross Island gelegen, ankerten wir an einem auf Grund gelaufenen Eisberg vor der Schelfeiskante und entschieden uns am nächsten Tag für die Weiterfahrt weiter nach Osten, ganz außen herum. Die dort irgendwo ansässige Kolonie Kaiserpinguine entdeckten wir leider nicht, dafür glitten wir bei strahlendem Sonnenschein und Windstille übers spiegelglatte Wasser, begleitet von zahlreichen Eisbergen in allen Formen und Größen. Wieder in nördlicher Richtung unterwegs trafen wir auf Seymour Island erneut auf Adelie Pinguine und Spuren vergangener Erdzeitalter in Form von zahlreichen Fossilien.

Diese waren auch der Grund für die Schwedische Antarktisexpedition des Geologen Otto Nordenskjöld mit der Antarctica (1901-1904). Er wollte entweder auf Seymour Island oder auf Snow Hill Island überwintern und von dort aus seine Forschungen durchführen. Die Entscheidung fiel damals für Snow Hill Island, wo im Februar 1902 mit dem Bau einer Holzhütte begonnen wurde, welche heute noch steht. Zweimal haben Nordenskjöld und vier weitere Expeditionsmitglieder hier überwintert, geplant im ersten, gezwungenermaßen ein weiteres Jahr – aber das ist eine äußerst spannende Geschichte, die es wert ist, an anderer Stelle etwas ausführlicher erzählt zu werden.

Auch wir hatten uns entschieden, einen kleinen Umweg einzulegen, um zwischen Seymour und James Ross Island nochmals nach Süden an die Nordseite von Snow Hill Island zu segeln, um dort Nordenskjölds Hütte einen Besuch abzustatten. Auf einem kleinen eisfreien Bereich der Insel, einer Mondlandschaft gleich, steht sie schwarzbraun auf einer kleinen Anhöhe und blickt auf ein grandioses Panorama: die gesamte Bucht, tiefblaues Wasser, gespickt mit Eisschollen, Eisbergen, Packeisfeldern … im Hintergrund die majestätischen Berge und Eiskappen von James Ross Island. Ob und wie oft Nordenskjöld einfach diese Aussicht aus seinem Fenster genossen hat, wissen wir nicht. Es war schon sehr besonders, diese kleine Holzhütte, diesen historischen Ort zu betreten. Ehrfürchtig, die Stiefel ausgezogen, schlichen wir auf Wollsocken durch die einfachen Räume; Polargeschichte zu atmen, hier und da originale Relikte, wie den alten Ofen am Esstisch, den Küchenherd, die Arbeitstische oder einige der gesammelten Fossilien der Expeditionsmitglieder zu sehen. Wir tauchten für einen Moment ein in deren Leben und konnten es sich doch so gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen sein mag, an diesem Ort zwei lange, dunkle Antarktische Winter zu verbringen.

Mit der einsetzenden Flut verließen wir diesen geschichtsträchtigen Ort, der Wind hatte aufgefrischt. Nachdem wir uns durchs zunächst dichte Treibeis navigiert hatten und sich dieses allmählich lichtete, setzten wir die Segel, Kurs Nord durch den Erebus und Terror Golf. Auf Höhe von Devil Island trafen wir auf unseren alten Track und somit war die Umrundung perfekt. Im Antarctic Sound feierten wir dieses gelungene Abenteuer mit einem Glas Rum für jeden von uns. Und auch Neptun bekam seinen verdienten Anteil für das sichere Geleit.

Weddell Meer

Die Zeit im Weddell Meer war so unerwartet, wie fantastisch. Ursprünglich ja gar nicht geplant (außer vielleicht mal den Bug in den Antarctic Sound zu richten) wurde diese Planänderung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Wir haben es tatsächlich geschafft, James Ross Island zu runden!

Das Glück ist mit den Tüchtigen, sagt man. Wir haben das große Glück, mit Piotr einen neugierigen, abenteuerlustigen Skipper zu haben, der – wie wir – interessiert ist und Lust hat, lieber neue, unbekannte Wege zu gehen als ausgetretene Pfade, lieber an unbekannten Orten auf Entdeckungsreise zu gehen, als bekannte Ziele anzusteuern. Wir hatten das Glück passender Bedingungen (Eis, Wetter) und haben sie genutzt. Ob tüchtig oder nicht, in jedem Fall war es die richtige Entscheidung.

Wir wurden belohnt mit einer geglückten Rundung – als kleine Segelyacht eine absolute Seltenheit, wenn nicht vielleicht sogar Premiere. Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist, dass die Bedingungen ein solches Unterfangen nur in den seltensten Fällen überhaupt möglich machen. Zu unsicher das Wetter, zu viel Eis bedeckt in der Regel auch im antarktischen Sommer in diesem Teil des Weddell Meeres. Selbst die großen und ungleich stärkeren Expeditionskreuzfahrtschiffe sind hier so gut wie nie anzutreffen. Wir haben kein einziges von ihnen zu Gesicht bekommen.

Wir wurden empfangen von einer Landschaft, die ihresgleichen sucht und mit der der Westseite der Peninsula nicht vergleichbar ist.

In der Duse Bay betraten wir bei View Point das erste Mal den Antarktischen Kontinent. Die Vulkaninsel Beak Island empfing uns zauberhaft in frischen Schnee getaucht, ein Traum in schwarzbraun-weiß und bescherte uns eine kleine morgendliche Schneeballschlacht. Gummistiefel wurden gegen Wanderschuhe getauscht, wir hatten Zeit für Erkundungen auf eigene Faust bei Sonne, klirrender Kälte und eisigem Wind: Wanderungen, kleine Seen, Gipfelglück und ein grandioser Panorama-Rundumblick. Skuas verteidigten vehement ihre Nester und Küken. Wir stolperten fast über Pelzrobben am schwarzen Strand, von weißen in der Sonne leuchtenden Eisblöcken gespickt.

Wir kämpften uns im Prince Gustav Channel auf der Suche nach einem geeigneten Ankerplatz erfolglos eine Nacht lang durch dichtes Treibeis und Finsternis, bahnten uns mit der Eisstange einen Weg, immer wieder erwiesen sich Wege als Irrwege, schloss sich das Eis undurchdringlich vor uns oder füllte eine angepeilte Bucht von vornherein aus. Try and Error, vor und zurück, auf einen gescheiterten Versuch folgte ein nächster. Das erste Mal wurde uns am eigenen Erleben bewusst, welche Macht dieses Eis hat. Wie stark und mächtig es ist, wie eng Erfolg und Scheitern beieinander liegen.

Auch der Herbert Channel konfrontierte uns wieder mit viel Eis, knapp 40 Knoten Wind und ordentlich Welle auf die Nase. Wir fanden Schutz auf der Südseite von Vega Island, nahe Cape Lamb, genossen etwas Ruhe nach anstrengender Nachtfahrt und entdeckten später an Land Unmengen von Fossilien, die belegen, dass es hier nicht immer so ausgesehen hat wie jetzt.

Auf Devil Island fanden wir zwar nicht den Teufel, dafür aber eine große Kolonie Adelie Pinguine, in deren munteres Treiben wir ein paar Stunden eintauchten.

Ein perfekter Tag

Es ist 3 Uhr morgens. Ich stehe allein draußen an Deck. Die Nacht umhüllt mich, schemenhaft erkenne ich die Umrisse der Landschaft, ganz leicht grau, kaum zu erahnen, hebt sich das Eis vom schwarzen Wasser ab, am Horizont das klitzekleine, goldene Funkeln des ersten Morgengrauens.

Es ist ruhig und es herrscht totale Stille. Fast. Ab und an gurgelt das Wasser am Rumpf der Selma entlang, ich höre das leise sizzling des Eises, das Geräusch der entweichenden Luft, ein feines Knistern. Und irgendwo da draußen, ganz in der Nähe, in Richtung des mit jeder Minute größer werdenden Lichtstreifs am Horizont höre ich ab und an das Atmen eines Wals. Wahrscheinlich schläft er und driftet im ruhigen Wasser, genau wie wir mit der Selma. Eins mit dem Wasser, dem Universum. Vollkommener Friede umgibt uns.

Doch das kann sich schnell ändern, deshalb bin ich hier draußen. Ich wache über den Schlaf der anderen, beobachte das treibende Eis, welches mit uns zwischen Seymour Island und Cockburn Island auf der Ostseite von James-Ross Island driftet. Und wenn es uns zu nahe kommt, dann kommt die lange Stange zum Einsatz und ich weise das Eis in seine Schranken. Bei kleineren Schollen und Growlern geht das, wenn ein größerer Eisberg zu nahe kommt, wecke ich Piotr und wir werfen den Motor an. Doch es bleibt ruhig, der Skipper leise schnarchend in seiner Koje, der Motor aus.

Eine Nacht frei driften, statt irgendwo zu Ankern. Sich einfach treiben lassen. Vom Segeln auf offener See kenne ich das, hier im Weddell Meer nahe der Ross Insel hätte ich dies nicht unbedingt erwartet. Doch die Verhältnisse gestern abend sprachen dafür: ruhiges Wetter, kaum Wind, zwischen den beiden Inseln das Wasser zu tief zum Ankern, aber halbwegs eisfrei, die beiden Küstenlinien jedoch voller Treibeis, teilweise dichtes Pack, Eisberge und Schollen in jeder Größe. Die uns – vor der Küste oder in einer Bucht ankernd – des nachts immer wieder nahe und gefährlich werden hätten können. Da ist die Drift-Variante zumindest jene, die die ruhigste Nacht verspricht. Dies ist schon die zweite – zumindest für mich und die meisten von uns – ungewöhnliche und neue Version eines Ankermanövers binnen zweier Tage.

Bereits gestern war Selmas Schlafplatz speziell. Wie der gesamte gestrige Tag, der besonders war.

Tags zuvor

Es ist fast ein wenig surreal. Wir sind in der Antarktis. Im Weddell Meer. Haben Ross Island bereits halb gerundet und sind sehr weit im Süden für hiesige Verhältnisse auf der Ostseite der Peninsula. Eigentlich ist dies keine Gegend für ein Schiff, schon gar nicht für kleines Segelboot. Nur äußerst selten wagt sich eins hierher, wer weiß, ob überhaupt schon mal eins hier war? Selbst Expeditionskreuzfahrer sind hier in der Regel nicht anzutreffen. Zu oft ist das Meer auf der Ostseite der Antarktischen Halbinsel von dichtem Packeis bedeckt, undurchdringlich auch im Sommer. Wir haben jedoch – schließlich sind wir auf Expedition und voller Entdeckerlust – die Gelegenheit und die günstigen Bedingungen genutzt und die Umrundung von James Ross Island gewagt, uns bis hierher irgendwie durch sämtliche Eisbarrieren hindurch gemogelt. Und gleiten nun die Südküste von Snow Hill Island, südöstlich von James Ross Island entlang. Auf 64 Grad 35 Minuten Süd.

Snow Hill Island. Ein geschichtsträchtiger Ort in der Polarhistorie. Der schwedische Polarforscher und Geologe Otto Nordenskjöld überwinterte gleich zweimal (1902 geplant und freiwillig, im Jahr darauf gezwungenermaßen) auf der Nordseite der Insel im Laufe seiner schwedischen Antarktisexpedition mit der Antarctica (1901-1904). Seine Hütte steht noch heute, auch wir wollen ihr wenn möglich einen Besuch abstatten.

Heute sind die Bedingungen das Gegenteil eines antarktischen Winters, auch den antarktischen Spätsommer haben wir anders erwartet. Die Sonne scheint. Der Himmel ist tiefblau. Es weht kein Lüftchen, nur der Fahrtwind bringt ein klein wenig Leben in die kleine (noch immer chilenische) Flagge am Mast. Es ist alles andere als rau, kalt, wild … an Deck tummelt sich ausnahmsweise ein Großteil der Crew, die Nasen werden in die wärmende Sonne gereckt, Sonnencreme dick aufgetragen, Alan spielt leise Gitarre: Lou Reeds „What a Perfect day“. Nichts passt in diesem Moment besser. Man könnte sich durchaus in wärmeren Gefilden wähnen, nur die Aussicht auf die vorbeiziehende Landschaft erinnert daran, dass wir in der Antarktis sind.

Die Schelfeiskante von Snow Hill Island an Backbord, sind wir auf der Suche nach der hiesigen Kaiserpinguin Kolonie, der nördlichsten der Antarktis. Doch weit und breit sind keine Pinguine, ist kaum Leben in Sicht. Zwei einzelne Robben aalten sich auf vorbeiziehenden Schollen, ab und an eine Küstenseeschwalbe, sonst nichts als blau und weiß. Snow Hill Island ist, besser hätte die Namensgebung nicht ausfallen können, fast gänzlich von einer sanft gerundeten Eiskappe überzogen, die sich zu fast allen Seiten der Küste als hohe Schelfeiskante Kante ins Meer ergießt. Wahrscheinlich sind die Pinguine schon wieder unterwegs, oder weiter im Süden, im Packeis.

Meine zweite Wache heute ist vorbei. Entspannt war’s am Steuer die letzten vier Stunden, nur ein bisschen Slalom ums Weiß im Blau. Viel Eis und kein Wind bedeutet leider auch viel Motor und keine Segel.

Heute Morgen war der Himmel wieder in zartes Pastell getaucht. Die Selma schwoite um den Eisberg, den wir am Abend zuvor als Anker benutzt haben, mangels Alternativen. Das Wasser zu tief, die gesamte Küste eine mehrere Meter hohe Schelfeiskante. Da kam uns der festsitzende Koloss gerade recht. Mit Hilfe des Dinghis haben wir eine 250 m lange Schwimmleine (zweimal 125 m) ausgebracht, einmal um den Eisberg gelegt und am Bug der Selma auf zwei Klampen belegt. Ganz langsam ist die Selma des nachts mit leichtem Wind oder Strömung mal in Richtung Schelfeiskante und heute Morgen einmal im Uhrzeigersinn um den Eisberg gedriftet. Dann ist es an der Eiswache einzugreifen und uns mit der langen Stange vom Eis abzustoßen und wieder ausreichend sicheren Raum zu verschaffen. Das klappt bei ruhigen Bedingungen erstaunlich gut, am Morgen waren die beiden Leinen halbwegs schnell wieder eingeholt und wir startklar in diesen Tag. Der uns rund Süd von Snow Hill Island und dann wieder Kurs nordwärts der Umrundung von James Ross Island hoffentlich ein Stück näher bringt.

Ein perfekter Tag, der einem bereits perfekten Tag folgte und vermutlich weitere Tage zur Folge hat, die sich für uns einfach nur perfekt anfühlen.

Umrundung

„This is no holiday, this is an expedition!“

Augenzwinkernd oft, manchmal spaßeshalber und ab und zu sich dem Leben an Deck mit allem was dazugehört einfach hingebend, wird dieser Satz mehrmals täglich gesagt.

Und deswegen sitze ich jetzt hier, frühmorgens um 4:00 Uhr, müde und fröstelnd als Ankerwache.

Wäre es Urlaub, hätte es spätestens nach 4h Wache an Deck gestern Abend, nach Steuern und Eis wegschieben mit der langen Eisenstange, eine heiße Dusche gegeben und dann 9-10 Stunden Schlaf. Es ist aber eine Expedition…

Diese hat uns gestern so tief ins Weddell Meer gebracht hat, wie wir niemals gedacht hätten, wie es oft auch gar nicht möglich ist, denn meistens ist hier selbst im Sommer dickes Eis und kein Durchkommen für ein kleines Segelboot. Aber in diesem Jahr gibt es Bedingungen, die das möglich machen und unser Skipperteam ist neugierig und risikofreudig und wir Crew folgen ihnen voller Vertrauen und Entdeckerlust.

Wenn wir manchmal mit nur einem Knoten Fahrt durch dicke Schollen und große Eisberge einen Weg suchen, wissen wir nicht, ob es weitergeht oder wir in einer Sackgasse landen. Die weiße Masse bewegt sich ja außerdem in Wind und Strömung, schiebt Wege auf und zu. Doch Optimismus und ein großer Erfahrungsschatz vom Skipper (er hält mit der Selma schließlich sogar einen antarktischen Guinness/-Rekord) haben uns nun bis 64 Grad Süd gebracht zur Schneehügelinsel (Snow Hill Island) südlich von James-Ross-Island, dessen Umrundung wir versuchen möchten.

Und nun sitze ich hier und halte Ankerwache, die eigentlich gar keine ist, denn der Anker ist an Deck und wir sind stattdessen mit einem Seil an einem Eisberg befestigt, welcher vor der Küste am Grund festhängt. Ab und an braucht es einen Impuls mit der Stange wenn das Boot zu nahe ans Eis treibt, um es wieder etwas weg zu schieben

Es ist fast windstill, das Meer spiegelglatt, so wie gestern auch schon den ganzen Tag. Langsam wird es hell, der Himmel färbt sich rosa. Noch ist es ruhig an Bord, bald wird das geschäftige Treiben wieder beginnen, wir werden umeinander herumwuseln auf engem Raum und gleichzeitig die unfassbare Weite dieser antarktischen Welt genießen.

Ich freue mich sehr auf diesen Tag und bin gespannt, was er heute für uns bereithält. Es wird wieder großartig sein, unerwartet und atemberaubend schön, da bin ich mir sicher.

Morgenstund hat Gold im Mund

Mein Wecker klingelt um 03:40 Uhr. Ich schalte ihn aus und denke einen Moment lang, dass ich noch eine Stunde tief in meinen Schlafsack gekuschelt bleiben möchte. Ich stehe auf, schnappe mir meine Klamotten und Socken und trete in den Salon. Ich begrüße die beiden anderen, die schon da sind. Der eine hat gerade Feierabend, der andere hat seine Wache zur Hälfte hinter sich.

Wir liegen immer noch vor Anker. Der Plan war, zwischen 03:30-04:00 Uhr abzulegen. Skipper Piotr liegt in seinem Bett und hat schon einen Kaffee intus. Wir warten ungeduldig, bereit, den Anker zu lichten und uns auf den Weg zu machen.

Um 04:15 Uhr sind wir auf dem Weg. Das Geschenk des frühen Aufstehens in der morgendlichen Kälte ist ein sanfter, langsamer Sonnenaufgang. Der Tag entfaltet sich in zarten Rosa- und Violetttönen über den kahlen weißen Bergen der antarktischen Halbinsel. Allmählich wechseln die Farben von Violetttönen zu Hellblau und schließlich zu einem tiefblauen Himmel. Selten ist die Belohnung nicht der Mühe wert.

Leise gleiten wir durch das Wasser, der Motor schnurrt, das Wasser wird zu Glas. Wir bahnen uns einen Weg durch die Eisberge und Brummer und staunen über die unglaubliche Schönheit, die uns umgibt. Der Versuch, die Essenz dieses Morgens in Worte zu fassen oder auf eine Kamera zu bannen, ist wie der Versuch, Wasser in den Händen zu halten.

Langsam erhebt sich auch der Rest der Besatzung und wirft einen Blick nach draußen, um zu sehen, was der Tag bringen mag. Die nächste Wache holt sich eine Tasse Kaffee und setzt sich ins Pilothaus, um die richtige Kleidungskombination zu finden.

Orcas

Um 8 Uhr ist die Wache in der Kombüse aufgestanden und hat Tee und Kaffee aufgesetzt. Kurz darauf gibt es Porridge. Zu fünft sitzen wir im Salon und essen und unterhalten uns. Von oben an Deck ertönt das Wort “Orcas”. Wir lassen alle unser Essen und Trinken fallen und klettern an Deck. Wir schnappen uns Handschuhe und Kameras und schauen erwartungsvoll in die von der Wache angegebene Richtung.

Das Boot wird langsamer, treibt dahin, während eine Familie von vier Orcas anmutig vorbeigleitet. Während sie nach Luft schnappen und ihre Rückenflossen in der Sonne glitzern, ziehen sie vor uns in der Nähe des Eises vorbei, auf der Suche nach Nahrung oder einfach auf der Durchfahrt durch den Kanal.

Wenn wir Wildtiere in ihrer eigenen Umgebung sehen, Besucher in dieser rauen, unbarmherzigen Umgebung, nehmen wir diese Momente in Kauf und ertragen die Unbequemlichkeit. Vergessene Handschuhe und Mützen werden abgelegt, bis wir zu weit weg sind, um die Orcas zu sehen. Wir huschen unter Deck, um unser Frühstück zu beenden, unsere Handschuhe und Mützen in unsere Nähe zu holen und uns aufzuwärmen.

Wir sind bereit für das, was als nächstes kommt…