Vernadsky Station I

Bevor man Vernadsky, die Ukrainische Station, sehen kann, kann man sie riechen. Zumindest vorgestern nachmittag, als wir ankamen, trieb uns der Wind den Geruch der hier ansässigen Gentoo Pinguinkolonie (Eselspinguine) schon aus der Ferne entgegen. Bald darauf tauchten nicht nur jede Menge Pinguine im Wasser und an Land auf und zwischen den Felsen auf, sondern auch die Stationsgebäude.

Vernadsky Base

Wir haben hier zwei Tage Pause eingelegt, uns vor dem Sturm aus SW versteckt, Energie, Wasser und Diesel getankt und die Ukrainer besucht. Die Station ist für ihre Gastfreundschaft kleinen Segelyachten gegenüber bekannt. Die Selma und Piotr sind nach vielen Jahren gern gesehene Gäste, Piotr hat hier enge Freunde.

In einer kleinen Bucht nahe der Station liegt man ruhig und geschützt. Bei der Einfahrt begrüßte uns der hier ansässige Seeleopard und trieb auf seiner Scholle an uns vorbei. Das erste Mal während der Reise werfen wir nicht nur den Anker, sondern bringen auch vier Landleinen aus. Knapp zwei Stunden sind wir damit beschäftigt. An Land werden geeignete Fixpunkte in Form von Felsen oder großen Steinen gesucht, Schlingen gelegt, Schwimmleinen mit dem Dinghi ausgebracht, an den Fixpunkten befestigt und dann von Deck aus so lange nach und nach dicht geholt, bis alles passt und die Selma sicher vertäut ist. Gerade als wir damit fertig sind, biegt eine andere Yacht, die Mon Coeur in die Bucht und legt sich neben uns ins Päckchen. Gennadi, der ukrainische Skipper, ist ebenfalls ein guter Bekannter von Piotr. Er hat die Mon Coeur vor Jahren wieder seefest gemacht, um- und ausgebaut. Stolz erzählt er davon, zeigt uns später sein Boot bis in den letzten Winkel. Alles ist größer und komfortabler als auf der Selma. Allein der Maschinenraum, im dem gleich zwei Mr. Perkins ihren Dienst tun, ist so groß wie unser ganzer Salon. Die Kabinen haben je ein eigenes Bad, die Küche ist riesig, es ist warm. Viel zu warm für unsere Verhältnisse. Wir sind froh, später wieder auf der Selma zu sein, wir haben uns an die 10-15 Grad unter Deck gewöhnt und lieben sie genau so wie sie ist.

Herzlich Willkommen

Piotr ist abends auf die Station eingeladen. Es ist ein besonderer Tag. Es ist der 24. Februar. Heute geht der russische Angriffskrieg in der Ukraine ins dritte Jahr. Das ist hier auf der Station natürlich extrem präsent, obwohl die Heimat unerreichbar weit entfernt ist: 15.168 km sind es bis Kyiv. Doch viele der derzeit 26 hier arbeitenden Stationsmitglieder waren vor der Saison an der Front und / oder müssen nach dem Wechsel im April an diese zurück. Alle bangen um ihre Familien und Freunde in der Heimat. Diese schmerzhafte Realität begleitet die Menschen hier tagtäglich und an diesem Tag ganz besonders. Sie holt damit auch uns in unserer glücklichen und friedlichen „Blase“ unterwegs an Bord der Selma ein. Wir sind hier unten tief im Süden zwar am Ende der Welt, aber noch immer ein Teil von ihr.

Umso bewegender sind die warme Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden und die Gastfreundschaft, die uns hier in diesen zwei Tagen entgegenschlägt: wir bekommen jede Menge frisches Brot und einen großen Topf Borschtsch, eine ausführliche Führung durch die gesamte Station und Einblicke in deren Geschichte und Forschungsarbeit. Seit 1996 wird die ehemals Britische Station von der Ukraine betrieben, benannt ist sie nach dem ukrainischen Geologen, Mineralogen, Geo- und Biochemiker Vernadsky.

Historische Bilder an den Wänden füllen die Gänge der Station, die Gruppenfotos der jeweiligen Überwinterer-Teams der Stationsgeschichte – egal ob britisch oder ukrainisch – hängen im Treppenaufgang zum Obergeschoss. Wir dürfen einen Blick in die Labors der Biologen, Seismologen, Geologen, Meteorologen … werfen. Wir bekommen den Hauch einer Ahnung der komplexen Zusammenhänge zwischen Klimaveränderungen, wärmeren Temperaturen, migrierenden Pinguinen, deren Guano, dem darauf folgenden Bewuchs erstbesiedelnder Algen … und den sich dadurch verändernden Inseln und Landschaften der Antarktischen Halbinsel. Die Station, die sich Galindez Island mit einer seit Jahren wachsenden Kolonie von Gentoo Pinguinen teilt, kann ein Lied davon singen.

Wellness

Das beste aber sind die heiße Dusche und der anschließende Besuch in der Sauna.

Ausgiebig genießen wir nach langer Zeit den Luxus fließend warmen Wassers. Die Frauendusche der Station ist derzeit mangels weiblicher Belegschaft meist ungenutzt, bzw. wird sie als Zwischenlager für verschiedenewissenschaftliche Proben genutzt – neben unseren Klamotten stapeln sich zahlreiche nummerierte Tüten. Ein neugieriger Blick offenbart den Inhalt: es sind Ivans Moose, die hier auf weitere wissenschaftliche Untersuchung warten.

Die Sauna – oder banja – ist aber das Größte! Eine kleine Holzhütte auf einem Felsen, circa. 300 Meter vom Stationsgebäude entfernt wartet auf uns. Es gibt zwei Möglichkeiten, dorthin zu kommen: auf dem Landweg mitten durch die Pinguinkolonie oder per Boot. Wir wählen den Seeweg und das Dinghi. Eine abenteuerliche, etwas verwitterte Holzleiter führt einen Felsen hinauf zur Hütte. Die Stufen sind glitschig, ebenso wie der Vorplatz. Das kleine Holzdeck wird, wie die Leiter auch, ab und an auch von Pinguinen genutzt, die überall um uns herum, direkt neben und hinter der Sauna stehen, liegen, rufen. Die Szenerie ist einfach unglaublich.

Wir entledigen uns schnell unserer Gummistiefel und Klamotten und schlüpfen hinein in die wohlige Wärme. Genießen die 90 Grad trockene, knackende Hitze, den dampfenden Aufguss. Stehen danach dampfend draußen in der frostigen Kälte. Überlegen kurz und kraxeln dann die glitschigen Stufen hinab, über die Felsen und wagen den Tauchgang im antarktischen Ozean. Sind hinterher elektrisiert, voller Energie, alles prickelt wie tausend feine Nadeln. Stehen grinsend, ein kühles Bier und den Blick auf Meer, Eisberge, Pinguine genießend draußen in der Dämmerung. Wärmen uns auf in der Hütte und schlüpfen dann erneut an den heißen Ofen auf die hölzernen Bänke. Dreimal gönnen wir uns diesen Luxus, bevor wir sauber und warm wie schon lange nicht mehr hinüber wechseln in die Bar der Station. Hier werden wir mit Musik, Getränken und einem kleinen Buffett empfangen. Es wird ein wunderbarer Abend gemeinsam mit unseren ukrainischen Gastgebern und der Crew der Mon Coeur – bei Bier, Wein, Cocktails, Pool Billard, anregenden und bewegenden Gesprächen, die uns nicht nur während der mitternächtlichen Überfahrt zur Selma begleiten.

Wordie House

Wir starten mit einem späten, üppigen Frühstück in den nächsten Morgen und freuen uns auf einen Tag hier in Vernadsky. Kein Anker lichten, keine Wachen, keine kalten Stunden am Ruder… einfach ein ganzer Tag Pause. Frei sozusagen. Naja, nicht ganz. Zunächst bekommen wir eine Lieferung Treibstoff. Vier schwere 200 Liter Fässer Diesel werden an Deck gewinscht. Während Piotr sich in den folgenden Stunden um das Umfüllen in unsere Tanks kümmert, brechen wir zu einem Kajak-Ausflug auf.

Wir paddeln zum benachbarten Wordie House auf Winter Island. Die ehemalige Britische Forschungsstation Faraday ist ein historisches Denkmal aus den frühen Zeiten der wissenschaftlichen Antarktisgeschichte, wurde 1947 erbaut, 1954 bereits wieder geschlossen. Namensgeber des ehemaligen Hauptgebäudes der Station F war James Wordie, schottischer Polarforscher und Geologe, der u.a. als wissenschaftlicher Leiter an Shackletons Endurance Expedition teilnahm. Das Gebäude steht auf den Fundamenten einer früheren Hütte der britischen Graham Land Expedition 1935-1936.

Heute ist Wordie House ein kleines Museum: Als Besucher begibt man sich auf eine Zeitreise, 70 Jahre zurück in die Anfangszeit der britischen Antarktis Stationen. Die Räume, allesamt im Originalzustand bieten einen kleinen Einblick in die wissenschaftliche Arbeit und das Stationsleben. Davon zeugen historische Messgeräte und wissenschaftliches Material in den Arbeitsräumen, die Werkstatt oder Ausrüstung wie Tauchgeräte, Schneeschuhe, Hundegeschirre. Die Küche samt Vorräten und Lebensmitteln wäre noch einsatzbereit. Der angrenzende Salon ist Wohn- und Schlafraum in einem. Die Jacken hängen teils noch an den Betten, Schuhe stehen im Regal. Spiele, Bücher, Darts oder die Gitarre haben in den langen, dunklen Wintermonaten für Abwechslung gesorgt. Ich liebe diese Zeitreisen, atme gern den Geruch vergangener Epochen, der noch immer in den Räumen hängt. Manchmal meint man, noch die Anwesenheit derer, die hier einst lebten, spüren zu können.

Ein kurzer Aufstieg auf den benachbarten Gletscher und Gipfel von Winter Island bietet einen schönen Rundumblick auf die Station und die Argentine Islands. Danach geht es weiter im Kajak zwischen und rund um die Inseln, entlang von gletscherblauen Eisbergen, springenden Pinguinen, vorbeisegelnden Kormoranen (Arctic Shag) und faul auf vorbei treibenden Schollen liegenden Krabbenfresser- und Weddellrobben. Auch den Seeleopard treffen wir wieder, diesmal zeigt er jedoch kein gesteigertes Interesse an uns. Nach vier Stunden passieren wir wieder die Station und kehren auf die Selma zurück.

Crew Erweiterung

Am Nachmittag bricht das Mountaineering Team noch einmal auf zum benachbarten Gletscher. Safety Training steht auf dem Programm. Alan, der regelmäßig in Schottland für die Mountain Rescue im Einsatz ist, übt geduldig mit uns verschiedene Spaltenbergungstechniken. Nach knapp drei Stunden sind wir durchgefroren und beenden unsere Übungseinheit.

Die Selma liegt mittlerweile nahe des kleinen Holzpiers der Station und hat Frischwasser gebunkert. Wir rücken zusammen, räumen unsere Vorräte um und machen Platz in der Achterkabine um Ivan mit an Bord zu nehmen. Der Biologe wird uns ein paar Tage begleiten, unser Weg nach Süden ist für ihn eine prima Gelegenheit, an abgelegenen Stellen, die sonst außerhalb seiner Reichweite liegen, nach Proben zu suchen. Derweil bleibt unsere Unterwasserdrohne in der Station, um dort die Wissenschaftler zu unterstützen.

Morgen geht es weiter nach Süden. Mit nun 12 Mann an Bord, neu eingeteilten Wachen, Forscherdrang und jeder Menge Neugier. Und der schönen Gewissheit, dass wir demnächst erneut wieder hier an diesem wunderbaren Ort vorbeikommen werden – mindestens, um Ivan abzusetzen. Vielleicht aber auch, um noch ein weiteres Mal in den Genuss der herzlichen ukrainischen Gastfreundschaft und der schönsten Sauna der Welt zu kommen.

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