Starlink und Major Tom

Offline am Ende der Welt ?

Das dachten wir vor Beginn unserer Reise, das war ein Teil der Idee. Unterwegs zu sein am Ende der Welt und in einer eigenen. Fernab vom Weltgeschehen, von permanenter Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, in Abgeschiedenheit und Einsamkeit. Ganz auf uns gestellt, allein im Hier und Jetzt und unserem eigenen kleinen Universum.

Von meinen ersten Reisen in den hohen Norden, nach Spitzbergen kenne und liebe ich dieses Gefühl. Die Welt auf einem kleinen Segelboot ist sowieso schon eine ganz eigene. Damals segelte man von Longyearbyen hinaus auf den Icefjord, und sobald der Funkmast außer Sichtweite war, war man selbst außer Reichweite. Aus der Welt gefallen.
Ein paar Jahre später reichte der Empfang bereits bis auf die andere Seite und sobald man auf dem Rückweg aus Norden, aus dem Forlandsund kommend, am Alkhornet den Bug in den Icefjord reckte, begannen plötzlich alle Handys an Bord wie verrückt zu piepen und kündigten mit einem vielfachen „pling“ all die verpassten Nachrichten und Neuigkeiten an. Und Menschen, die zuvor vier Wochen lang kein einziges Mal auf ihr Handy geschaut hatten, saßen von einem Moment auf den nächsten allein mit sich und ihrem Telefon in irgendeiner Ecke an Deck und starrten gebannt aufs Display. Waren völlig absorbiert. Allein die Verfügbarkeit weckte ein Bedürfnis, was all die Zeit zuvor mangels Gelegenheit gar nicht existiert hatte. Vermisst wurde all dies zuvor nicht.

Die Zeiten ändern sich. Auch – und gerade – in den abgelegenen Regionen dieser Erde. Dank Starlink mittlerweile sogar in der Antarktis. Mehrere tausend Satelliten im All versorgen selbst den entferntesten Zipfel unseres Planeten bei freier Sicht zum Himmel mit einer Internetverbindung. Stabiler und schneller als in so manch deutscher Stadt.

Und so war die Überraschung groß: Anders als erwartet, gibt es auch auf der Selma seit dieser Saison Starlink. Wenn die Stromversorgung es erlaubte, waren wir somit permanent online. Hatten Zugang zu allen Informationen und – andersherum – fanden diese auch den Weg zu uns.


Das verändert vieles. Das Leben und Miteinander an Bord, die Art unterwegs zu sein, zu planen und Entscheidungen zu treffen, schlussendlich die gesamte Reise.

Es ist weder gut noch schlecht, es kommt – wie immer – darauf an, wie man damit umgeht, was man damit macht. Und alles hat zwei Seiten. Klar ist es prima, jederzeit die aktuellen Wetterdaten abrufen zu können, damit planen und rechtzeitig reagieren zu können. Das macht vieles einfacher und sicherer. Aber stets zu wissen, was einen erwartet (auch wenn die Prognosen sich nicht immer bewahrheiten) ändert auch den Charakter einer solchen Reise. Mit den Informationen wird alles planbarer, berechenbarer. Man ordnet sich ihnen zwangsläufig unter. Es bedeutet einerseits mehr, gleichzeitig aber auch weniger Freiheit. Weniger Abenteuer, weniger Spontaneität, weniger Überraschungen und weniger Herausforderungen. Es verändert das bisher gewohnte Segeln in entlegenen, schwierigen Revieren – gerade in der Antarktis – komplett.


Und es verändert das Leben an Bord. Weil wir letztendlich permanent erreichbar sind. Weil uns hier Nachrichten erreichen aus der Welt, der wir für eine gewisse Zeit eigentlich den Rücken kehren wollten. Die einsickern in dieses ganz eigene, nahezu geschlossene Universum an Bord.
Weil das aus dem Alltag gewohnte Bild – Mensch mit Handy in der Hand – plötzlich auch hier Einzug hält. Manchmal drei, vier, mehr Menschen nebeneinander im Salon sitzen, jeder in sein Display vertieft. Anstatt miteinander ins Gespräch. Weil man verleitet wird, mal schnell noch dies oder jenes zu checken oder zu googeln. Nachrichten zu versenden, zu empfangen, zu beantworten. Weil allein die Gelegenheit scheinbare Bedürfnisse weckt, dies es ohne gar nicht gäbe.

Es verändert natürlich auch den Kontakt nach außen. Beispielsweise die Möglichkeit, andere teilhaben zu lassen an den eigenen Erlebnissen. Hatten wir zunächst noch geglaubt, per Iridium höchstens einmal pro Woche vielleicht ein Lebenszeichen, ein paar Zeilen Text hinaus in die Welt senden zu können, war nun alles möglich. Und zwar nahezu jederzeit und unbegrenzt. Wir konnten Freunde und Familien mit Nachrichten und Fotos versorgen, in Echtzeit. Das ist schön, aber auch anstrengend. Es weckt Erwartungen, die bedient werden wollen. Es kostet Zeit, die man plötzlich mit der Kommunikation nach außen verbringt, anstatt in der Welt und Umgebung, in der man eigentlich gerade ist. Man überlegt, was man schreibt, man sortiert und bearbeitet Fotos, liest und beantwortet Nachrichten, postet auf Social Media … und all diese Zeit verbringt man letztendlich allein mit seinem Handy, während die Wirklichkeit in diesem Moment an einem vorbeizieht.

Doch dies gehört heute wohl dazu. Es fällt schwer, sich dem zu verschließen.
Und hier kommt auch Major Tom ins Spiel.

Major Tom

Mein Freund Tom, ohne den es dieses Logbuch gar nicht gäbe. Der sich im Vorfeld auf meine Bitte hin bereit erklärt hatte, die ursprünglich angenommenen Lebenszeichen und Neuigkeiten – ein paar Zeilen Text, circa einmal pro Woche – hier auf dieser Website zu posten. Damit Familien, Freunde, Menschen, die gern dabei gewesen wären, aber nicht konnten und andere Interessierte zumindest ein bisschen teilhaben können.
Der plötzlich lange Texte bekam und viele Fotos. Die es aufzubereiten und einzuarbeiten galt. Nicht nur einmal pro Woche, sondern deutlich häufiger. Viel Input von mir, von uns bedeutete viel Arbeit und viel Zeit für Tom.

Am Ende hat das Internet am Ende der Welt dazu geführt, dass dieses Logbuch gut gefüllt ist. Umfangreicher als jemals gedacht. Dass es viele Kapitel bekommen hat, von vielen schönen Erlebnissen und wunderbaren Begegnungen berichtet, viele unvergessliche Momente und Bilder teilt. Das war (so das Feedback, welches ich bekommen habe) schön für alle Daheimgebliebenen. Und es ist im Nachhinein auch ein Geschenk für uns, all diese Berichte und Gedanken verfasst zu haben und hier nachlesen zu können …

Ohne Starlink, vor allem aber ohne Tom gäbe es all dies so nicht.

Dafür, lieber Tom, von ganzem Herzen mein und unser aller großer Dank!

Auf Wiedersehen Falklands

Abschied

Nach fast zehn Tagen hier auf den Falklands ist es nun an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Unsere Expedition Sailing SOUTH 2024 geht hier zu Ende. Und wir als Crew gehen vorerst wieder getrennte Wege. Daran müssen wir uns nach dieser langen, intensiven gemeinsamen Zeit alle erst einmal gewöhnen, wie überhaupt an das Leben danach. Der Abschied fällt unendlich schwer.

Die Falklands waren ein überraschendes und ganz besonderes Kapitel dieser Expedition. Und sie sind definitiv eine eigene, längere Reise wert! So viele Küsten und Inseln lassen sich hier noch entdecken. Mit Südgeorgien haben wir sowieso noch eine Rechnung offen. Das ließe sich ja vielleicht miteinander verbinden? Die Ideen im Kopf nehmen jedenfalls schon langsam Gestalt an …

Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer 🙂

Falklands Berge

Gipfelglück und Geschichte

Wir hatten bei David im ehemaligen Boathouse direkt am Hafen mit Blick aufs Wasser eine wunderbare Bleibe, auch wenn wir uns nach der langen Zeit an Bord der Selma erst einmal an den vielen Platz und die Verteilung auf zwei riesige Apartments gewöhnen mussten. Gemeinsames abendliches Kochen oder Ausgehen und tagsüber Unterwegs-Sein war deshalb an der Tagesordnung. Nicht zuletzt wegen der Vielzahl an Kreuzfahrt-Touristen, die auch jetzt zum Saisonende noch ungefähr jeden zweiten Tag scharenweise in das kleine Städtchen eingefallen sind.

An jenen Tagen haben wir Stanley den Rücken gekehrt und waren – wenn nicht an der Küste oder offroad zu den Pinguinen unterwegs – wandern.

Westlich von Stanley erstreckt sich eine karge, weite, hügelige, goldgelbe Landschaft. Oft durchsetzt von sogenannten „stone runs“ oder „stone rivers“ – weitläufigen, meist linearen Feldern aus riesigen neben- und übereinander gestapelten grauen Quarzit-Blöcken, die die Hänge säumen und herunterzufließen scheinen wie Wasserfälle aus Stein – ein geologisches Phänomen und Überbleibsel der letzten Eiszeit, welches bereits Charles Darwin begeistert beschrieb.



Felsige Kämme und Gipfel locken trotz relativ geringer Höhe mit schönen Aussichten, grandiosen Panoramen und jeder Menge Geschichte – Spuren, Relikten und Gedenkstätten aus der Zeit des Falklandkrieges. Fast alle dieser umliegenden Berge waren Schauplätze der militärischen Auseinandersetzung zwischen Argentinien und Großbritannien – viel zu oft mit tödlichem Ausgang, wie die unzähligen Kreuze und Gedenktafeln auf den Gipfeln zeigen.

Wir erwanderten – mal bei Regen, oft bei Sonne, immer bei starkem Wind – Mount Harriet, Mount Tumbledown, die Two Sisters oder Mount Longdon. Und an manchen Abenden, wenn wir zurück kamen, erwartete uns Alan, der in der Zwischenzeit bei Adrian am Murrell River Fliegenfischen war, mit frischer Lachsforelle oder Mullet.

Besser als bei frisch geangeltem Fisch mit selbst frittierten Kelp-Chips, gesammelten Tea-Berries und einem Glas Falklands-Gin oder einer Runde Pisco Sour können die Abende nicht ausklingen. Doch so schön es hier auch ist – langsam wird es Zeit, Abschied zu nehmen.

Falklands Pinguine

Ein Paradies für Pinguin-Fans

Fünf verschiedene Arten Pinguine leben auf den Falklands: Magellanpinguine, Eselspinguine, Felsenpinguine, Goldschopfpinguine und Königspinguine. Wir hatten das Glück, vier von ihnen anzutreffen und beobachten zu können.

Nicht weit von Stanley, nach einem malerischen Strandspaziergang erreicht man eine Kolonie Eselspinguine nahe Yorke Bay Pond.
Und wir hatten eine Extra-Portion Glück: Selten verirren sich auch einzelne Königspinguine an diesen Strand.

Bei Gypsy Cove, aber auch an zahlreichen anderen Küstenabschnitten rund um Stanley, nisten Magellan-Pinguine in ihren Erdlöchern.

Etwas weiter und beschwerlicher ist der Weg zu zwei anderen Vertretern.

Auf der Murrell Farm zu den Punks unter den Pinguinen

Zwei Kolonien Felsenpinguine findet man an der Küste zum Berkeley Sound auf dem Gelände der Murrell Farm.

Adrian und sein Sohn, die gemeinsam die Farm mit ca. 3.000 Schafen bewirtschaften, haben uns mitgenommen auf eine wilde Offroad-Fahrt durchs weite Land, um uns die kletter- und sprungfreudigen Pinguine zu zeigen. Wir hatten Glück, sie noch anzutreffen. Hoch oben in der felsigen Steilküste waren fast ausnahmslos alle Tiere mitten in der Mauser und sahen ziemlich ramponiert und zerzaust aus. Lauter Punks an einem Bad Hair Day …
Das saftige Grün oberhalb der Küste und zwischen den Felsen war weiß gesprenkelt vom Federflaum. Gut eine Woche später, im neuen Federkleid, wird die gesamte Kolonie aufbrechen und erst nach dem Winter hierher zurückkehren.

Auf englisch heißen die Felsenpinguine Rockhopper – ein ziemlich treffender Name. Die eher kleinen Pinguine mit den roten Augen und gelben Augenbrauen bewegen sich fast ausschließlich hüpfend von Stein zu Stein durch die wild zerklüftete Steilküste, was mal mehr, mal weniger elegant, aber immer sehr lustig aussieht.


Nach dem Ausflug zu den Pinguinen zeigten uns Adrian und sein Sohn noch die Farm und die Wollproduktion, erzählten von der Geschichte der Farm, ihrem Leben auf den Falklands, dem Leben als Farmer, Schafzüchter, Selbstversorger und Guide gleichermaßen, und zurück in Stanley gab es als Dankeschön Kaffee und Kuchen.

Die Könige von Volunteer Point

Ein ganz besonderes Highlight waren jedoch die Königspinguine.
Nicht nur, weil wir diese aufgrund unserer Planänderung am Beginn unserer Reise – Südgeorgien nicht anzusteuern – bisher verpasst hatten. Sondern auch, weil dies unser letztes gemeinsames Abenteuer als Selma-Crew war. Nur Piotr war leider nicht dabei, blieb an Bord, um die Selma für die bevorstehende Abreise klarzumachen.

Und ein Abenteuer ist die dreistündige Fahrt zur Kolonie am Volunteer Point durchaus. Drei Stunden one way, wohlgemerkt. Zwei Stunden davon muss man sich offroad und querfeldein durch die – zu dieser Jahreszeit – extrem feuchte, weiche Torflandschaft kämpfen. Glücklicherweise hatten wir mit Artur und Susan zwei erprobte Fahrer am Steuer. Festgefahren haben wir uns trotzdem mehrfach und mussten uns jeweils gegenseitig wieder aus dem Schlamm ziehen. Das war spannend, aufregend, ziemlich holperig, aber auch sehr lustig.


Und der weite Weg hat sich in jeder Hinsicht gelohnt.

Volunteer Point ist ein Naturreservat im Privatbesitz der Johnson’s Harbour Farm. Neben Esels- und Magellan-Pinguinen, Kormoranen, Delfinen und Seelöwen hat hier die größte Kolonie Königspinguine der Falklands ihr Habitat. Circa 1.500 Brutpaare leben hier und ziehen jährlich zwischen 600 und 700 Küken groß. Sie bewegen sich zwischen dem zwei Meilen langen weißen Sandstrand und dem grünen Grasland der Brutkolonie hin und her. Genau wie wir, die wir hier zwei Stunden staunend, ehrfürchtig beobachtend verbracht haben.

Wir beobachten Königspinguine einzeln oder in Gruppen samt ihrer ganz eigenen Dynamik. Am Strand, im Wasser, unterwegs zur Kolonie. Schwimmend, auf dem Bauch liegend, aufrecht. So ernsthaft wirkend, wenn sie gemächlichen Schrittes vorüberlaufen. Gern im kleinen Pulk. Die erwachsenen Tiere wunderschön und farbenprächtig. Die Küken in ihrem dicken, braunen Flaum das komplette Gegenteil: so plump und etwas unbeholfen. Immer unter Beobachtung und im Schutz der Kolonie. Wartend auf den Nahrung bringenden Elternteil.



Und was für eine Geräuschkulisse! Ein vielstimmiges Rufen aus tausenden Kehlen. Jeder hat seine eigene Stimme, sie erkennen und finden sich unter Tausenden. Stundenlang kann man das geschäftige Treiben beobachten. Wir entdecken auch einige noch sehr kleine, vor wenigen Tagen geschlüpfte Küken. Ganz vereinzelt wird sogar noch ein Ei vorsichtig auf den Füßen balanciert. Viel zu spät. In beiden Fällen werden die Küken den nahenden Winter wohl nicht überstehen.

Es ist ein beeindruckendes Naturschauspiel an einem sehr besonderen Ort, und wir sind glücklich, die Königspinguine am Ende unserer Reise nun doch noch getroffen zu haben.

Danke Artur und Susan!

Falklands Küsten

Inselparadies mit Traumstränden

Wir haben wild-schöne Strände entdeckt.

Mal felsig und zerklüftet rund um den Leuchtturm am Cape Pembroke, mal paradiesisch mit weißem Sandstrand, türkisblauem oder smaragdgrünem Wasser und einer grandiosen Dünenlandschaft.

Wir haben in Gypsy Cove und Surf Bay Delfinen beim Spiel in den Wellen zugeschaut, in Rookery Bay einen Seelöwen bei der Jagd nach Pinguinen beobachtet und waren dort und in Yorke Bay selbst schwimmen im erfrischenden, 7 Grad kalten Südatlantik.

Der hier stets kräftige Wind lässt die weiße Gischt meterhoch spritzen. Die Wellen brechen sich krachend an vorgelagerten Felsen oder dem weiten Strand. Riesiges Kelp treibt zwischen den Felsen im kristallklaren Wasser, hüfthohe Büschel aus Tussockgras wogen im Wind, Albatrosse und Riesensturmvögel segeln durch die klare Luft. Ab und an sieht man den Blas eines Wals vor der Küste.

Falklandinseln

Lass dich überraschen!

Habe keine Erwartungen, dann wirst du auch nicht enttäuscht. So oder so ähnlich lautet irgendein Spruch. Etwas optimistischer formuliert könnte es auch heißen: Habe keine Erwartungen, dann wirst du überrascht sein …

Genau so erging es mir oder uns auf den Falkland Inseln, den Islas Malvinas.

Zunächst einmal waren sie nur der Endpunkt unserer Reise. Deshalb habe ich im Vorfeld auch keinen Gedanken daran verschwendet. Klar war, dass wir hier ein paar Tage Zeit einplanen – als Puffer, zum Ankommen an Land, als eine Art Übergang von der Zeit auf See, an Bord der Selma, unserer Expedition … hin zu dem Danach, dem Ende der Reise, der Heimkehr. Eine Zeit zwischen den Welten sozusagen, zum Abgewöhnen und wieder Eingewöhnen. An den festen Boden unter den Füßen, an die Zivilisation mit allem was dazu gehört.

Aber die letzten Tage waren so viel mehr! Wie ein ganz besonders leckeres Dessert nach einem ohnehin schon perfekten Menü.
Nicht, dass es noch ein Sahnehäubchen gebraucht hätte …

Die Falklandinseln sind ein echtes Juwel!

Großartige, weite Landschaften. Rau und karg. Leer. Eine Mischung aus Schottischen Highlands und Prärie, Grasland des mittleren Westens. Grauer Fels, farbenprächtig leuchtende Flechten, sattes moosiges Grün, weiß-gelbes, im Wind wogendes Gras auf schwarzen, torfigen Böden. Wilde, zerklüftete Küsten, paradiesische Sandstrände, türkisblaues Meer. Stürmische Winde, tosende Wellen, grandiose Himmel voller dahinjagender Wolken und zauberhaftem Licht. Ein Naturparadies mit fantastischer Tierwelt, Antarktis light könnte man sagen. Pinguine, Wale, Delfine, Robben, Sturmvögel, Albatrosse …


Und obendrein wunderbare offene und hilfsbereite Menschen.

Die Mehrzahl (90%) der mit 3.000 ohnehin wenigen Einwohner konzentriert sich in Stanley (die einzige Stadt der Falklandinseln und zugleich deren Hauptstadt und Regierungssitz). Der Rest verteilt sich auf einzelne Farmen, irgendwo im Nichts, oft Meilen voneinander entfernt. Asphaltierte Straßen gibt es kaum, man ist auf Gravel Roads oder gleich offroad unterwegs. Ohne ein entsprechendes Auto geht gar nichts. Und zwischen den Inseln (etwa 200 sind es insgesamt, neben den beiden großen Hauptinseln Ost- und Westfalkland) ist oft eines der hier verkehrenden kleinen Flugzeuge die erste Wahl.

Wir haben allerdings auf Flüge verzichtet und unsere Erkundungen auf die Gegend rund um Stanley auf Ostfalkland beschränkt. Zu Fuß und – dank Artur und Marianna, die uns spontan ein Auto geliehen haben – auf vier Rädern. Wobei beschränkt angesichts der vielen Erlebnisse der falsche Begriff ist.

Abschied

Am Tag danach

Dieser Morgen ist anders. Und alles andere als gut.

Ich sitze hier im Bootshaus, unserer Unterkunft, mit meinem ersten Kaffee in der Hand, blicke aus dem Fenster auf den Hafen. Eigentlich ein Traumblick, direkt aufs Wasser, direkt nach Osten in den Sonnenaufgang. Nach zwei Tagen bereits vertraut.


Doch heute fehlt etwas und das Bild passt für mich so überhaupt nicht: Der Anleger ist verlassen und leer. Die Masten der Selma sind verschwunden, genauso wie Piotr, Voy, Ewa. Diese Leerstelle schmerzt.

Ich war nie wirklich gut im Abschied nehmen. Erst recht nicht, wenn dies bedeutet, am Pier, an Land zurückzubleiben, während „mein“ Schiff wieder in See sticht und langsam in Richtung Horizont verschwindet. Oder – wie gestern – in die Dunkelheit der Nacht.

Schiff ahoi

Gestern am späten Abend war es schließlich soweit. Es kam, wie es irgendwann kommen musste. Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen. Zumindest von der Selma und von Piotr, Voy und Ewa. Abschied nach sieben gemeinsamen Wochen mit einer langen Vorgeschichte, nach einem wunderbaren Abenteuer, einer fantastischen Reise mit einem perfekten Team und einem ganz besonderen Spirit und Zusammenhalt an Bord.

Wir haben uns in Etappen voneinander verabschiedet. Sind vor zwei Tagen von Bord gegangen und haben unser Quartier hier in Stanley im ehemaligen Bootshaus bezogen. Haben einen wunderbaren Abschiedsabend verbracht, ausgiebig gegessen, getrunken, gefeiert, gesungen, geredet, gelacht. Und noch einen letzten gemeinsamen Ausflug gemacht, zu den Königspinguinen am Volunteer Point. Doch während wir noch ein paar Tage Zeit hier auf den Falklands haben, müssen Piotr, Voy, Ewa und die Selma zurück nach Ushuaia.



Es fällt oftmals schwer, loszulassen. Besonders aber nach einer solch intensiven Zeit voller gemeinsam geteilter Erlebnisse.

So viel geht einem in solchen Momenten durch den Kopf, so viel möchte man noch sagen – aber sucht vergeblich die richtigen Worte. Glücklicherweise braucht es die manchmal gar nicht. Eine stille, feste Umarmung tut es auch.
Und so standen wir gestern Nacht im Licht des Vollmondes gemeinsam noch einmal an Deck, im Kreis, Arm in Arm, unsere Köpfe zusammengesteckt – ein eingeschworenes Team. Lange, schweigend. Jeder ganz bei sich und doch getragen vom Miteinander-Sein. Es war ein herzlicher Abschied voller Wärme und erfüllt vom Spirit der gesamten Reise.

Diesen Moment werde ich für immer in meinem Herzen bewahren, so wie auch jeden einzelnen Moment dieser letzten Wochen. Ich werde sie vermissen, diese zehn Menschen, die Selma, das Leben an Bord. Das Eis, das Licht des Südens, die Weite des Südpolarmeers, Wind und Wellen, den Horizont und das gemeinsame Unterwegs Sein auf dem Ozean, im Hier und Jetzt.

Lange stehen wir so, dann lösen wir erst uns voneinander und wenig später die Leinen. Die letzten Worte und Wünsche fliegen hin und her, ein allerletzter Gruß aus dem Horn, dann verschwindet die Selma kurz vor Mitternacht langsam in der Dunkelheit. Irgendwann ist nur noch das weiße Topplicht zusehen, gleich einem Stern am Nachthimmel.

Wir stehen schweigend an der Pier, die Augen feucht, voller Wehmut und Dankbarkeit. Und das Herz voller Hoffnung und Gewissheit, dass dies nur ein Abschied auf Zeit ist. Nicht umsonst heißt es Auf Wiedersehen. Hasta luego.
Auf bald also, liebe Selma. Wir werden uns wiedersehen, da bin ich mir sicher.

Gute Reise, fair winds. Und danke für alles.

Port Stanley – Ankerplatz SH4

Endlich segeln!

Was für ein famoser letzter Segeltag! 

Besser hätten wir es nicht haben können. Vor allem nach den letzten Tagen, in denen uns der Wind immer wieder im Stich gelassen hat und die Drake meist so zahm war wie ein Schoßhündchen, haben wir dies kaum noch zu hoffen gewagt.

Die letzten einhundert Meilen nach Port Stanley sind wir geflogen. 

Meine Wache, morgens von 2.00 bis 6.00 Uhr, war bis auf den anfänglich sternklaren Himmel noch wenig vielversprechend. Ein Wechselspiel zwischen kein Wind und kaum Wind und dies aus allen Richtungen. Nichts, womit man etwas anfangen hätte können.
Also haben wir die Selma sich selbst überlassen und ich über ihre Drift gewacht. Meine Gedanken ebenfalls driften lassen. 
Ab und an habe ich das Ruder ein Grad mehr nach Steuerbord oder Backbord gerichtet, um unseren Kurs zu halten. Dabei versucht, den Windmesser zu hypnotisieren. Die Zahl der Knoten in die Höhe zu treiben, den Zeiger der Richtung zu stabilisieren. Manchmal hat dies für einen kurzen Zeitraum funktioniert, immer dann, wenn eine große dunkle Wolke über uns hinwegzog. Aber nie konstant genug, um die Segel zu setzen. Und so harrte ich ungeduldig einer heranziehenden dunklen Front entgegen, in der Hoffnung, dass diese uns endlich den ersehnten Wind bringen möge. Piotr kam derweil in den Genuss einer extra Portion Schlaf. 


Und dann, gegen sieben, waren wir plötzlich und endlich raus aus dem blauen Loch der Flaute. Von jetzt auf gleich. Von blau zu rot. Von null auf knapp 40 Knoten Wind. Und eine hohe Dünung, gemixt mit steilen Wellen. 


Was haben wir uns gefreut, endlich wieder richtig segeln zu können. Haben uns abgewechselt am Steuer, die Wachen getauscht, so dass jeder noch einmal in den Genuss kam. Haben mit leuchtenden Augen jede Minute am Ruder ausgekostet. Sind mit bis zu 12 Knoten über schaumkronengespickte 6 Meter Welle gesurft und haben dabei immer wieder eine ordentliche Salzwasserdusche abbekommen. Egal – wir hatten einen Riesenspaß dabei. Genau wie die Albatrosse und Sturmvögel, die um uns herum in Hochgeschwindigkeit durch die Luft und durch die Wellentäler gesegelt sind. 

Land in Sicht 

Die Zahl der Vögel nahm mit jeder Stunde zu. Immer wieder trieb Kelp auf der Oberfläche vorbei – Anzeichen dafür, dass wir uns langsam aber sicher Land näherten. Am späteren Nachmittag haben wir zwei Fischtrawler passiert. Dann kamen die Falklandinseln in Sicht, und damit eine Landmarke, die das Steuern inmitten der Wellenberge erheblich erleichtert hat.

Eine Gruppe Delphine (Stundenglas-Delphine, wegen ihrer wie eine Sanduhr geformten weißen Zeichnung wegen so genannt) tauchte plötzlich auf und begleitete uns für eine Weile. Spielte mit Selmas Bugwelle. Die eher kleinen Vertreter ihrer Art tauchten und sprangen um die Wette, blitzschnell im schäumenden Wasser. Schwammen von links nach rechts, mal neben uns, mal unter uns hindurch. Sie schienen Spaß zu haben, genau wie wir. Einer von ihnen sprang tatsächlich in hohem Bogen vorn über Selmas Bug. Am Steuer stehend traute ich meinen Augen kaum, nahm sprachlos und staunend diesen ganz besonderen Abschiedsgruß entgegen. 

Stanley

Der Leuchtturm von Cape Pembroke kam in Sicht, überall entlang der flachen Küste und an vielen vorgelagerten Felsen warf sich die See gegen das Land, sah man die Gischt meterhoch spritzen. Wir haben nur noch die Fock stehen lassen. Die Abendsonne kam heraus, vergoldete die letzten Meilen, tauchte die Küste und uns in zauberhaftes Licht, die Landschaft in wunderbar warme Farben. Flach und Gelbgrün, zum Teil mit hohem Tussock Gras bewachsen präsentierten sich die Inseln.


Mit immer noch acht Knoten Fahrt sind wir in die Bucht von Port William und durch die Engstelle zwischen Navy und Engineer Point nach Stanley Harbour hinein gekreuzt. Hatten als Team an Deck alle Hände voll zu tun. Vier Wenden später hatten wir Stanley vor Augen, war es Zeit, das letzte Segel zu bergen. Den uns zugewiesenen Ankerplatz anzusteuern. Bei dem Wind hätte man auch nur ungern an der Pier angelegt. Und mir war es mehr als recht, das Land, die vielen Lichter und Geräusche der Stadt noch etwas auf Abstand zu halten.

Ein letztes Mal ließen wir den Anker ausrauschen. Und waren plötzlich am Ziel. 
Nach gut 3.000 Seemeilen angekommen in Port Stanley auf den Falkland Inseln.



Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus. Ungläubigkeit. Wehmut. Am Tag zuvor war es noch so zäh, das Ziel weit entfernt… und jetzt: Irgendwie in den letzten Stunden viel zu schnell verflogene Meilen. Von einhundert sozusagen schlagartig wieder zurück auf Null. Diesmal endgültig. 
Mit jeder Umarmung teilten wir Freude und Dankbarkeit, es gemeinsam geschafft zu haben. Aber gleichzeitig auch die langsam bewusst werdende, schmerzhafte Erkenntnis, dass dieses gemeinsame Abenteuer nun vorbei ist. Wir auch wieder  loslassen müssen.
Und so stand nicht nur ich einen Moment für mich allein gedankenverloren irgendwo an Deck, den Blick mal Richtung Stanley, mehr aber zurück Richtung Meer in die Ferne gerichtet. Versucht, den Augenblick festzuhalten. Alles festzuhalten. Viele Momente der letzten Wochen gingen mir durch den Kopf. All das Erlebte, Durchlebte, Erreichte. Unser gemeinsames Sein an Bord der Selma.

Es wurde Zeit, darauf anzustoßen. Die am 15. Februar an Shackletons 150. Geburtstag angebrochene Flasche Whisky hatte ich für diesen Moment aufgehoben. An Deck, in der Dunkelheit, vor den Lichtern der Stadt ließen wir die Gläser klirren. Die richtigen Worte zu finden, fiel schwer. 

Mit Shackleton und einer Idee fing alles an. Mit einem Glas Shackleton haben wir vor mehr als einem Jahr, im Dezember 2022, unsere gemeinsamen Pläne besiegelt, während einer Zoom Konferenz, damals jeder vor dem Bildschirm an einem anderen Ort dieser Welt. Wir – bis auf emails und einige digitale Treffen – einander völlig unbekannt. Gestern, hier in Stanley, haben wir dieses Abenteuer nun als Freunde mit einem Glas gemeinsam zu Ende geschrieben. Mit Neptun einen großen Schluck geteilt, dankbar für den glücklichen Verlauf und Abschluss unseres Vorhabens. 

Es braucht eine Weile, dieses Vorbei-Sein annehmen zu können, bei mir jedenfalls. Zuerst ist da mehrheitlich Sentimentalität, Traurigkeit, eine gewisse Leere. Doch ein wenig tröstet dieser letzte famose Segeltag darüber hinweg, dass wir nun angekommen sind. Und unsere Reise – zumindest die auf der Selma – hier in ein paar Tagen zu Ende sein wird. Noch haben wir jedoch Zeit, anzukommen in dieser so ganz anderen Welt als jener der letzten Wochen. In der Zivilisation, andere Geräusche zu hören (Autos), andere Menschen zu treffen, andere Dinge zu sehen. 
Drei Tage, die wir noch alle gemeinsam an Bord der treuen Selma verbringen können. Zum langsam Abgewöhnen sozusagen. Und danach noch eine weitere Woche hier auf den Falklands

Nachtgedanken

Nur noch 100 Meilen bis Stanley

Es ist zwei Uhr nachts. Ich sitze draußen an Deck, habe gerade von Unda die Nachtwache für die nächsten vier Stunden übernommen. Die ersten zwei davon habe ich allein für mich, dann kommt Peter dazu. Ich genieße diese einsamen Stunden allein mit der Nacht und dem Meer jedes Mal aufs Neue.

Über mir hat sich die klare Nacht ausgebreitet, der Mond ist schon wieder untergegangen. Ein funkelnder Sternenhimmel spannt sich über mir auf, das mittlerweile vertraute Kreuz des Südens kitzelt wie immer Selmas Mastspitze. Nur im Südwesten färben Wolken den bereits dunklen Himmel noch etwas schwärzer.

Da zieht etwas herauf. Ob ein ausgewachsener Sturm oder nur Starkwind, wird sich in ein, zwei Stunden zeigen. Die Wettermodelle waren sich diesbezüglich uneins. Der Wind pfeift mit knapp 20 Knoten aus Südwest, Tendenz steigend. Das Besansegel ist noch gesetzt, und wir warten erst einmal ab. Das Ruder mit 11 Grad nach Steuerbord eingeschlagen, driften wir mit 1 bis 1,5 Knoten Fahrt nach Norden, unserem Ziel entgegen.

Noch rund einhundert Meilen sind es bis zu den Falklands. Nur!

Bei rauschender Fahrt sind dies elf, zwölf Stunden, bei guter wären wir in zwanzig Stunden da. Dann wäre dies meine letzte Wache, nachts an Deck der Selma. Keine schöne Vorstellung, denn wenn ich ehrlich bin, will ich überhaupt noch nicht ankommen. Denn Port Stanley bedeutet das Ende unserer Reise, zumindest unseres Segelabenteuers.

Klar haben wir noch eine Woche Zeit, die Falklands zu erkunden. Aber wir müssen uns von der Selma verabschieden – von Piotr, Voy, Ewa. Allein der Gedanke fällt mir unendlich schwer. Ich mag gar nicht daran denken, dieses feine, zu einem Zuhause gewordene Boot und diese lieb gewonnenen Menschen zu verlassen. Abschiede fallen meist schwer, das von Bord gehen, besonders nach einer solch langen, intensiven Zeit umso mehr. Das mochte ich noch nie. Und ich habe nicht nur einmal mit dem Gedanken gespielt, einfach an Bord zu bleiben, die Falklands ohne mich im Kielwasser verschwinden zu lassen und die Selma noch mit zurück nach Ushuaia zu segeln. Verlängerung sozusagen…

Andererseits: Natürlich freut man sich, nach so langer Zeit auch wieder aufs nachhause kommen, auf die Familie, Freunde. Auf so manche Annehmlichkeit, manchen alltäglich und selbstverständlich gewordenen Luxus, den eine solche Reise nicht bietet. Ein warmes Bad, ein frisches Bett, etwas bestimmtes zu Essen, den Duft des erwachenden Frühlings, sprießendes Grün… aber eigentlich hat es uns während der letzten knapp sieben Wochen an nichts gefehlt, habe ich derlei Dinge nicht vermisst. Im Gegenteil: ich hatte alles, was ich brauchte, was für den Moment wichtig war. Mehr als das. Meine Tage und Nächte waren lebendig und erfüllend und genauso habe ich mich gefühlt: lebendig und erfüllt.

Ich habe eine Welt erkunden können, die mich seit meiner Kindheit fasziniert hat, die ich bisher nicht oder nur aus Erzählungen, Berichten, Büchern, Filmen kannte. Habe atemberaubende Landschaften und eine reiche Tierwelt entdeckt, die mich jeden einzelnen Tag beeindruckt haben, begeistert, verzaubert, überwältigt, überrascht, beglückt. Ich war an Orten, die ich zu sehen, zu ersegeln jahrelang erträumt hatte – das hat mich fasziniert und zutiefst berührt.

Ich habe all diese Erlebnisse mit zehn wunderbaren Menschen geteilt, die ich in dieser Zeit ein wenig kennenlernen durfte. Wir hatten all die Wochen Freude an diesem Abenteuer und Spaß zusammen, konnten uns aufeinander verlassen, haben füreinander gesorgt und freuen uns immer noch jeden Morgen über den nächsten Tag miteinander, auf die nächste gemeinsame Wache.

Deshalb würde ich am liebsten das Ruder herumreißen, den Kurs wieder auf Süd drehen und mit der Selma und genau dieser Crew weitersegeln. Nach Süden, Osten oder Westen. Ganz egal. Wohin auch immer, Hauptsache weiter. Hauptsache Meer.

So zwiespältig und hin- und hergerissen wie ich mich gerade fühle, hat sich auch die Drake in den letzten Tagen gezeigt. Diese eigentlich wilde Ozeanpassage im Südpolarmeer, berühmt berüchtigt für die in kurzen Abständen durchjagenden gewaltigen Sturmtiefs, besonders jetzt im Herbst, hat uns überrascht. Und auch ein wenig enttäuscht.

Wie bereits während unserer ersten Querung auf dem Weg von Ushuaia in die Antarktis hat sie genau diese ihr zugeschriebene Wildheit vermissen lassen. Uns riesige, mit weißer Gischt überzogene Wellenberge und einen ausgewachsenen Sturm verwehrt – oder erspart, wie man‘s nimmt.

Woran es liegt? Wir wissen es nicht. Alles verändert sich, auch und besonders hier. El Niño könnte mit ein Grund dafür sein, denn insgesamt war es hier weit im Süden wärmer, wechselhafter, nasser. Zahlenmäßig weniger und weniger ausgeprägte Tiefdruckgebiete zogen von West nach Ost, somit gab es auch deutlich weniger starken Wind oder überhaupt Wind, was wir während der gesamten Reise gemerkt haben. Wir hatten leider viel weniger Segeltage als erwartet, als üblich.

Eine Woche auf See

Vor sechs Tagen sind wir in Elephant Island aufgebrochen. Diese sechs Tage waren ein unsteter Mix aus entweder kräftigem Wind oder Flaute. Abwechselnd konnten wir ein paar Stunden, einen Tag, eine Nacht bei 20-25, mal 30 Knoten Wind richtig gut segeln, um am nächsten Morgen bei öliger, träger, spiegelglatter See aufzuwachen und in einen nahezu windstillen Tag hineinzugleiten, bei 4-6 Knoten Wind und kaum Fahrt herumzudümpeln.

Mal rauschte die Selma unter voller Besegelung mit 11 Knoten durch die aufgewühlte See und am Steuer musste man so richtig arbeiten, mal flappten die Segel, wenn der Wind urplötzlich wieder einschlief. Und statt uns musste Mr. Perkins ran.

Der Ozean um uns herum war dann alles andere als rau und wild. Er glich dann eher einem großen, ruhigen See, je nach Sonne mal blau, mal grau gefärbt. Nur die stets hohe und gewaltige Dünung, ihre Wellenberge und Täler, die Selma wild schaukeln und rollen ließen oder die uns von Zeit zu Zeit begleitenden Albatrosse erinnerten dann daran, dass wir uns auf dem Meer befinden.

Die Albatrosse, die so unglaublich elegant und mit Leichtigkeit segeln, selbst bei nahezu Windstille noch jedem Wellenberg und -Tal ein wenig Auftrieb für ihren schwerelosen Flug abgewinnen können. Sie zu beobachten ist wunderbar.

Aber auch das ist unterwegs sein und segeln. Mehr als es nehmen wie es kommt, konnten wir ohnehin nicht und so freuten wir uns über jeden Knoten Wind, jede Segelstunde, jeden wilden Ritt über die beeindruckend hohen Wellen. Und nahmen auch die Flaute an: genossen die damit einhergehende Ruhe, die Sonne, die Wärme, den Müßiggang. Wir saßen oder tanzten an Deck in der Sonne, lüfteten unsere Klamotten, zelebrierten Karens Geburtstag, machten klar Schiff… eines Vormittags wagten wir sogar einen Sprung ins 4,5 Grad kalte Südpolarmeer. Ein erfrischendes Vergnügen – langanhaltendes Prickeln und ein breites Grinsen inklusive. 3.500 Meter Ozean unter sich. Und wer kann schon von sich behaupten, in der wilden Drake Passage gebadet zu haben?

Jetzt ist es vier, der Himmel komplett zugezogen, die dunklen Wolken und das Wetter haben uns erreicht. Der Wind – zwischenzeitlich auf fast 30 Knoten aufgefrischt – hat auf Süd gedreht, wieder auf 15 Knoten nachgelassen.

Zeit, einen Kaffee zu kochen und Piotr zu wecken. Zu schauen, zu entscheiden. Vielleicht mehr Segel zu setzen, vielleicht einfach noch eine Weile weiter zu driften … Mal sehen.

Ich für meinen Teil habe Zeit und keine Eile anzukommen. Im Gegenteil.

Sonnenaufgang am Lake Drake

Neptun und Aiolos, die Götter des Meeres und der Winde, scheinen zu schlafen, ebenso unsere Crew. Es ist 6 Uhr morgens, ich sitze an Deck der Selma, welche in der Dünung schaukelt. Meist sanft, doch manchmal rumpelt und scheppert es auch laut in den Schränken mit den Tassen und Gläsern. Seit 36 Stunden dümpeln wir in der Drake Passage, driften ein wenig durchs Blau. In den Wetterbildern hängen wir in einem blauen Loch fest, einer Zone ohne Wind. Das ist unüblich, meist zieht hier ein Tief nach dem anderen durch, die Drake ist berüchtigt für ihre Stürme.

Jetzt ist sie ein großer graublauer See, am Horizont ein paar weiße Wolkenberge im Westen, während sich im Osten der Himmel für den Sonnenaufgang in Gelb und Orange kleidet. Es ziehen Albatrosse und Sturmvögel vorbei und plötzlich plätschert ein einzelner Pinguin neben dem Boot.

Abschied und Loslassen

Es ist so schön und so friedlich, dass ich melancholisch werde. Dies sind die letzten Tage unserer langen, wunderbaren, erlebnisreichen Reise. Ich möchte gern bleiben in dieser grandiosen Landschaft, mit diesen zauberhaften Menschen, auf diesem treuen Schiff. Einfach weiterfahren, im Moment bleiben.

Deshalb bin ich einverstanden mit dieser Pause, welche uns das Wetter verordnet und genieße den Sonnenaufgang, die Untätigkeit, das kurze Verharren mitten im Ozean.

Gegen 8 Uhr wird es lebendiger an Bord, Kaffee und Tee in der Morgensonne, später ein ausgedehntes Frühstück. So viel Zeit nahmen wir uns bisher selten, meistens waren wir unterwegs im Rhythmus des Wachplans oder mit Landgängen und Exkursionen irgendwie beschäftigt.

Warten auf Wind ist Müßiggang und so dauert es nicht lange, bis die Unruhe der Lebendigkeit eine Idee präsentiert: „Laß uns baden gehen in der Drake!“

Dieser Plan ist verrückt genug, um sofort Anhänger zu finden. Auch der Käptn gibt grünes Licht und will lediglich wissen, wann wir ins Wasser möchten, um die kleine Badeplattform und eine Sicherheitsleine vorzubereiten.

Aus den hintersten Winkeln der Schränke werden Badesachen hervorgeholt, die Skeptiker machen die Kameras startklar, um das Ereignis zu dokumentieren.

Und dann ein beherzter Sprung ins 4,5 Grad kalte Wasser. Der „Drake-Dip“ ist ein zeitlich eher kurzes, dafür sehr erfrischendes Erlebnis mit einem lange prickelnden Nachklang und einer guten Portion Glückshormonen.

Zur Feier des Tages gibt es noch für alle die Möglichkeit zu Duschen und passend zum Badewetter kreiert Paula in der Pantry Toast Hawaii.

14 Uhr kommt leichter Wind auf und um 18 Uhr setzen wir das Großsegel. Auf dem Backbordbug rauschen wir durch die Wellen, genießen feinstes Segeln.

Als es dunkel ist, sehen wir es im Wasser glitzern. Bioluminiszente Organismen funkeln neben dem Boot, angeregt durch unsere Begegnung. Für mich ist es immer wieder magisch, das zu beobachten.

Dieser Tag ist wie ein Spiegel unserer langen Reise: verrückt und lebendig, abenteuerlich und lustig, bewegt und bewegend, beglückend.

Flexibel sein und annehmen, was gerade ist, unbedingt getragen vom gemeinsamen ‚Wir’ unserer kleinen Gemeinschaft.

Wir setzen unseren Weg fort Richtung Falklandinseln. Keine 400 Meilen trennen uns mehr vom Endziel unserer Reise.

Wir werden loslassen müssen und Abschied nehmen – von der Selma und von einander. Das Herz und den Kopf voll von unzähligen wunderbaren Erinnerungen an unsere phantastische Reise.

Noch aber ist es nicht soweit. Noch bleiben uns einige Tage, etliche Meilen, ein zu feiernder Geburtstag, Wind, Flaute, Sonne, Wellen…

Elephant Island

Während ich diese Zeilen schreibe, entfernt sich Elephant Island bereits im Kielwasser der Selma.

Heute, im ersten Morgengrauen gegen fünf, tauchte unser Ziel schemenhaft aus der Dunkelheit der Nacht. Zuerst sah man nur den hellen Schein eines Gletschers, wenig später konnte man auch die ersten Landmassen in der Schwärze ausmachen. Kurz darauf – ein magischer Moment – tauchte wenig später, genau neben der Spitze von Cape Yelcho die aufgehende Sonne als orange leuchtender Ball aus dem Ozean.

Was für ein Empfang! Hier an diesem Ort, dem Ziel unserer Reise. Oder dem Ausgangspunkt – wie man es betrachtet. Dies ist der Ort, warum wir hier sind, mit dem alles begann. Der Ort, der schon seit vielen Jahren durch meine Träume geistert, der vor zwei Jahren der Grund war, nach einem passenden Boot zu suchen, einem Skipper und Menschen, die sich für die Idee, hierher zu segeln ebenfalls begeistern konnten. Und nun sind wir tatsächlich hier auf Elephant Island angekommen.

Dies und noch viel mehr geht mir durch den Kopf, als wir die Nordküste entlang segeln, nachdem wir Cape Yelcho und die – wie spitze Zähne eines Ungeheuers aus dem Meer ragenden – Seal Islands passiert haben. Gedankenverloren stehe ich an Deck. Die Wolkenbasis ist hoch genug, die Insel zieht an uns vorbei. Nichts als Fels und Gletscher, Kargheit und Ausgesetztheit.

Noch 15 Meilen sind es bis Point Wild, jenem Ort, an dem Ernest Shackleton und die Mannschaft der vom Eis zerdrückten und untergegangenen Endurance Zuflucht suchten. Fünf Tage waren sie durch die stürmische, eisige Weddell Sea in ihren drei Rettungsbooten gerudert, nachdem sie ihr Camp auf dem schmelzenden, aufbrechenden Eis im April 1916 endgültig aufgeben mussten. Erschöpft hatten die 28 Männer nach 497 Tagen auf See und Meereis am Cape Valentine im Osten Elephant Islands erstmals wieder festen Boden unter ihren Füßen. Festen Boden, der dennoch weder Schutz, noch Aussicht auf Rettung von außen bedeutete, genauso wenig wie Point Wild, für den sich Shackleton wenig später als Standort für die Errichtung eines Lagers entschied. Welches er wenige Tage später, am 24. April, mit fünf weiteren Männern und der James Caird, dem am wenigsten desolaten der drei Rettungsboote wieder verließ, um im 800 Seemeilen entfernten Südgeorgien Hilfe zu holen.

Die übrigen 22 Männer blieben unter der Obhut und Führung von Frank Wild zurück, errichteten aus den verbliebenen zwei Booten eine notdürftige Behausung und harrten dort um ihr Überleben kämpfend weitere vier harte Wintermonate auf eine nahezu unmöglich erscheinende Rettung.

Als wir Point Wild erreichen suchen unsere Augen den Küstenstreifen ab, auf der Suche nach diesem Ort. Aus der Ferne, aus der Nähe, unter Zuhilfenahme von Fernglas und Zoomobjektiv der Kamera. Vergeblich: es scheint dort keinen Platz zu geben. Selbst aus der Nähe offenbart sich lediglich ein schmaler Streifen schwarzen, steinigen Strandes bevor steil dahinter unmittelbar eine hohe Felswand aufragt. Auch nach links und rechts kein Weiterkommen – hier begrenzen Gletscher die Länge. Mittlerweile hat sich der Gletscher, dessen gewaltige Front zu damaligen Zeiten noch direkt vorn an der Felswand lag, mehrere hundert Meter zurückgezogen.

Es ist gerade Flut, doch selbst bei Niedrigwasser bleibt dieses Stück nur ein klitzekleiner, wenige Meter breiter, Handtuch großer Strand. Karg, felsig, unbarmherzig und ungebremst den Elementen ausgeliefert. Und doch sind wir hier richtig.

So sehr wir uns auch bemühen: selbst mit dem Wissen um diese Geschichte, um die Berichte Shackletons und anderer Expeditionsmitglieder … es erscheint unfassbar. Selbst der Gedanke, nur eine einzige Nacht hier auf den wenigen Metern Fels zwischen wildem Ozean und vergletschertem Fels verbringen zu müssen, ist einer, den man lieber schnell beiseite schiebt. Die Vorstellungskraft reicht nicht aus, sich auch nur annähernd auszumalen, was es bedeutet haben muss, hier vier kalte, dunkle Monate zu verbringen, auszuharren. 22 erschöpfte und ausgelaugte Männer in einer notdürftigen Behausung aus zwei kleinen umgedrehten offenen Booten. Die nach dem Untergang der Endurance bereits eine 15 monatige kräftezehrende und verzweifelte Odyssee im und auf dem Eis hinter sich hatten. Die – ehrlicherweise – kaum darauf hoffen durften, dass der waghalsige Coup Shackletons, Worsleys und Co, Südgeorgien zu erreichen und damit mögliche Hilfe zu holen, überhaupt gelang. Es ist wohl einem schier unmenschlichen Überlebenswillen und nicht zuletzt Frank Wild zu verdanken, dass alle 22 Mann überlebt, diese Zeit physisch und psychisch überstanden haben.

Wind und hoher Schwell prallen direkt auf die Küste, das Südpolarmeer trifft hier ungebremst auf die von zahlreichen vorgelagerten Felsen gefährlich gespickte Küste. Weiße Gischt bricht sich hoch und wild schäumend am dunklen Fels. Die Verhältnisse sind heute damit so wie fast immer hier: eine Anlandung ist nicht möglich. Auch nicht für uns. Leider.

Zu gern hätten wir nicht nur vom Deck der Selma aus geschaut, sondern auch einen Fuß auf dieses Stück Küste gesetzt, diesen historischen Boden betreten, die einzelnen Felsen mit denen auf Frank Hurleys Fotos verglichen, den genauen Standort des Lagers gesucht… Selbst dort gestanden, gefühlt … die aufragende Felswand im Rücken, den Blick aufs Meer gerichtet. So wie die Männer um Frank Wild vor mehr als hundert Jahren wochenlang sicher tagtäglich mit den Augen den Horizont abgesucht haben, bis Ende August nach vier langen, bangen Monaten des Wartens endlich und tatsächlich ein Schiff – die Yelcho, ein Wachschiff der chilenischen Marine – am Horizont auftauchte. Shackleton war an Bord und nahm eigenhändig all seine verbliebenen Expeditionsmitglieder in seine Obhut.

Die Männer um Ernest Shackleton haben immer an ihren Boss geglaubt. Und dieser daran, dass es ihm gelingen müsse, jeden Einzelnen von ihnen unversehrt nachhause zu bringen.

Ich habe lange davon geträumt und daran geglaubt, irgendwann hier an diesen Ort zu segeln. Eine Crew zu finden, die an diese Idee und daran glaubt, dass wir das gemeinsam auf die Beine stellen können.

Heute hier an diesem Ort zu sein, mit genau diesen zehn Menschen auf der Selma hierher gesegelt zu sein, die letzten Wochen auf dem Weg hierher zusammen verbracht, gelebt und erlebt zu haben, diesen Moment jetzt zu teilen … all das ist ein unglaubliches Geschenk, macht mich glücklich und dankbar.

Offenbar geht es nicht nur mir so. Wir stoßen gemeinsam darauf an: auf die Kraft zu träumen und an etwas zu glauben, auf Shackleton, auf uns, auf die Selma, auf unsere Reise. Wir teilen mit Neptun und verneigen uns hochachtungsvoll vor den Männern der Endurance.

Und dann brechen wir auf, werfen einen letzten Blick zurück auf Point Wild und setzen unseren Kurs nach Norden.

Kurs Elephant Island

Vor zwei Tagen, am Sonntag, haben wir morgens früh um vier den Anker gelichtet, Deception Island verlassen und Kurs 060 auf Elephant Island gesetzt. Gut 200 Seemeilen liegen zwischen diesen beiden Inseln, die beide zu den South Shetland Islands gehören. Wir haben uns entlang der Küste auf der Westseite der Bransfield Strait gehalten und nach und nach die Inselkette passiert.

Auf Höhe der Südostecke von Robert Island kreuzten wir Selmas alten Track, den unserer Ankunft in der Antarktis Anfang Februar, nach Querung der Drake Passage. Seitdem ist eine gefühlte Ewigkeit vergangen, haben wir viel erlebt.

Über die Nacht legten wir nach circa 70 Meilen nochmal einen Stopp ein und ankerten in Potter Cove, King George Island vor der argentinischen Station Carlini. Die nächsten Tage und Nächte werden wir genug unterwegs sein, da tut eine letzte Pause und ruhige Nacht ohne Eisnavigation nochmal gut. Am später einsetzenden Morgengrauen merkt man bereits, dass wir den Süden langsam hinter uns lassen.

Auf dem Weg entlang der South Shetlands haben uns erneut viele Wale begleitet, überall um uns herum war Blas zu sehen, manchmal 10 bis 12 gleichzeitig. Diesmal waren es größere Gruppen Seiwale, die entlang der Küste wanderten. Viele Pinguine – Gentoo und Chinstrap Pinguine – waren unterwegs, ebenfalls in größeren Scharen, die, wenn der Bug der Selma ihnen zu nahe auf die Pelle rückte, reißaus nahmen und wie Torpedos aus dem Wasser schießend das Weite suchten. Mehrfach haben uns auch Pelzrobben eskortiert, in kleinen Gruppen von drei oder vier Tieren, geschmeidig und in eleganten Bögen durchs Wasser springend, schwimmend, tauchend.

Die Eisberge werden immer seltener. Wir freuen uns über jeden, wohl wissend, dass einer von ihnen der letzte sein könnte, dem wir auf unserer Reise nach Norden im Kielwasser lassen. Dem Koloss A23A werden wir ja leider nicht begegnen – dieser mit 4000 km2 bis dato größte Eisberg der Welt ist derzeit zwischen Elephant Island und den South Orkney Inseln unterwegs.

Abends frischt der Wind auf, endlich sind wir aus dem Windschatten von King George Island heraus. Das offene Südpolarmeer begrüßt uns mit einer ziemlich hohen Dünung und perfektem Segelwind um die 20 Knoten. Die Fock leuchtet warm in der Abendsonne, Wind aus 150-160 Grad von Achtern und die sechs Meter Welle schieben uns ordentlich vorwärts. Wir laufen nur mit dem Vorsegel neun Knoten, die Selma rauscht durch die Nacht, eine riesige Welle, vom Schaum weiß gekrönt ab und an mit Getöse unter uns durch. Dann hebt es uns weit hinauf auf den Wellenkamm und wir surfen hinab in die weiße Gischt. Das Meer schäumt und brodelt, als würde es kochen. Es macht riesigen Spaß, am Steuer zu stehen, durch die Nacht zu segeln, nichts herum als Ozean, tanzende Wellenberge und später sogar ein paar Sterne am Nachthimmel.

Später taucht etwas Eis auf dem Radar auf. Wir sind zu schnell unterwegs – für die Eisverhältnisse und für eine Ankunft bei Tageslicht – und wechseln vom großen Vorsegel auf den kleineren Klüver.

Später wird sogar auch dieser für zwei Stunden geborgen, wir laufen ohne Segel vor Top und Takel, machen immer noch drei bis vier Knoten Fahrt. Jetzt sind es nur noch Wind, Wellen und Strömung, die uns vor sich her schieben. Die Selma rollt unerträglich von links nach rechts, aber sie tut dies immerhin passend zum Kurs. Selbst als wir später wieder Segel setzen, bleiben wir Spielball der hohen Wellen. Wir in unseren Kojen rollen genauso, an erholsamen Schlaf ist nicht zu denken.

Wirkliche Beschwerden darüber gibt es jedoch nicht: Immerhin sind wir nach viel Einsatz von Mr. Perkins standesgemäß segelnd nach Elephant Island unterwegs.

Deception Island

Am nächsten Morgen lichten wir um fünf Uhr früh den Anker und setzen Kurs auf die South Shetlands. Circa 100 Meilen sind es bis Deception Island. Wir haben null Wind, es ist grau, das Wasser spiegelglatt.

Wie bereits auf dem Weg nach Süden begegnen wir in der Gerlache Strait erneut vielen Walen. Wer weiß, vielleicht sind ja die vier vom Abend zuvor auch darunter?

Während Peters und meiner Wache am Abend klart es auf, haben wir endlich ausreichend Wind und können in der Abendsonne die Segel setzen. Mr. Perkins hat Pause, wir ein breites Grinsen im Gesicht. Die Nacht ist klar, der Sternenhimmel gigantisch, die Milchstraße spannt sich in großem Bogen über uns auf, selbst die beiden Magellanschen Wolken sind zu erkennen.

In der Finsternis passieren wir gegen Mitternacht die schmale Einfahrt – Neptuns Blasebalg genannt – nach Deception Island. Links markiert ein Leuchtfeuer die nur wenige hundert Meter breite Passage, rechts ragt der Schatten einer steilen Felswand aus der Dunkelheit auf. Um eins fällt unser Anker in der Telephone Bay.

Deception Island ist eine Vulkaninsel, Gipfelbereich eines über die Meeresoberfläche hinausragenden, eingebrochenen Vulkankraters. Eine nahezu – bis auf eine schmale Einfahrt – geschlossene, fast kreisrunde, vom Meer geflutete Caldera mit einem Durchmesser von ca. 6 Meilen. Der Vulkan ist noch aktiv, der letzte Ausbruch (1970) liegt jedoch schon gut 50 Jahre zurück. Bei einem Ausbruch 1967 wurden eine englische und zwei chilenische Forschungsstationen schwer beschädigt und in der Folge aufgegeben.

Zwischen 1912 und 1931 wurde in der Whalers Bay die südlichste Trankocherei der Welt betrieben. Die Überreste dieser norwegischen Walfangstation, sowie Reste der aufgegebenen britischen Forschungsstation B lassen sich noch heute besichtigen.

Am Samstag Morgen tauchen Nebel und Sonne alles in ein mystisches Licht. Viel sehen wir nicht von der Insel – nur einen schwarzen Streifen Strand der Bucht in der wir ruhig und geschützt vor Anker liegen. Der silbrig-graue Schleier scheint sich ein wenig zu lichten, und so entscheiden wir uns am Vormittag für einen kleinen Spaziergang auf die Hügel rund um die Telephone Bay. Am Strand empfangen uns zwei einzelne Weddellrobben im schwarzen, feinen Vulkansand. Die Landschaft wirkt düster und unwirtlich, besteht – zumindest in diesem Teil der Insel – aus mehrheitlich schwarzem vulkanischen Gestein und Geröll. Wir erklimmen eine Hügelkette und freuen uns über anderthalb Stunden Bewegung in dieser leblos wirkenden Mondlandschaft. Leider bleibt der Rest der Insel geheimnisvoll im Nebel verschluckt.

Für den Vormittag hatte sich ein Kreuzfahrtschiff in der Whalers Bay angemeldet. Zu sehen bekommen wir es nicht, über Funk aber mit, dass es sich wieder auf den Weg macht, durch Neptuns Blasebalg – der immer nur von einem Schiff gleichzeitig passiert werden kann. Am Nachmittag haben wir somit den Hot Spot Whalers Bay für uns allein.

Zurück auf der Selma verholen wir uns in die knapp 6 Meilen entfernte Whalers Bay, ankern und nehmen uns Zeit für einen ausführlichen Landgang. Alle schwärmen aus, manch einer für sich allein, andere in Gruppen. Anfangs noch im Nebel schafft es die Sonne dann glücklicherweise irgendwann, die weißen Schwaden lichten sich und geben den Blick frei auf die unzähligen Überbleibsel aus Walfangzeiten und Gebäudereste der aufgegebenen britischen Forschungsstation.

Zahlreiche Pelzrobben bevölkern den schwarzen Strand. Viele lümmeln faul herum, andere sind in kleine Rangeleien untereinander verwickelt. Offenbar geht es meist darum, wer auf welchem Stück Sand zu liegen kommt. Einige wenige Pinguine sind ebenfalls am Wasser unterwegs. Ich treffe ein lustiges Pärchen aus einem Gentoo und einem Chinstrap Pinguin (Eselspinguin und Zügelpinguin) in einträchtiger Zweisamkeit beim Strandspaziergang.

Ich selbst erklimme zuerst eine kleine Anhöhe hinauf zu einer Scharte zwischen steil aufragenden Kliffs – oben angekommen weitet sich der Blick durch Neptuns Window hinaus auf den weiten Ozean. Tief unten rollt eine kräftige Dünung heran, zerschellt an den Klippen, liegen jede Menge Robben in kleinen Buchten.

Im Sand der Whalers Bay verstreut, teilweise durch Vulkanasche bedeckt, entdeckt man hölzerne Trümmer und Überreste ehemaliger Gebäude, Baracken, Wasserboote … einige wenige Walknochen, ein ehemaliges Schwimmdock …

In den sich lichtenden Nebel mischt sich Wasserdampf entlang des Strandsaums. Heißes Wasser aus vulkanischem Boden mischt sich mit dem kalten Wasser des Kratersees, es riecht nach Schwefel. Taucht man die Hand hinein, ist es teilweise fast kochend heiß.

Die Umgebung hat etwas mystisches, morbides, wie von einem anderen Planeten. Im Hintergrund dieser wie eine Hexenküche anmutenden Szenerie rosten jede Menge riesige Tanks (Walöl, Treibstoff), Tranöfen, Kocher und andere teils sehr futuristisch anmutende Metall-Objekte vor sich hin. Ich komme mir vor wie in einem Jules Verne Film.

Alte, von Wind, Wetter und rauem Klima gebeutelte Gebäude verfallen vor sich hin, überall silbrig verwittertes Holz, hier und da besiedeln und erobern Flechten diesen neuen Lebensraum. Weit hinten zwei einzelne Holzkreuze, Überreste des von Asche verschütteten kleinen Friedhofes.

Leider (oder für Landschaft und Flora glücklicherweise) sind die umgebenden Hügel und Berge geschütztes Gebiet. Zu gern hätten wir sie erklommen, um auch von oben einen Blick auf die Bucht und den Kratersee zu werfen. Die Landschaft präsentiert sich hier zwar karg, aber für meinen Geschmack sehr farbenprächtig: ins schwarz und weiß von Vulkangestein und Gletschern mischen sich mancherorts lebendiges saftiges Grün (Flechten, Moose) und ein samtiges dunkles Rotschwarz – Stein oder Asche, das lässt sich aus der Ferne nicht sagen.

Es ist spannend und macht Spaß durch die Vergangenheit an diesem außergewöhnlichen Ort, diese ganz besondere Landschaft zu wandeln, die Zeit vergeht wie im Flug.

Zurück an Bord der Selma wechseln wir wieder an unseren bewährten Ankerplatz in die Telephone Bay. Nach einer weiteren ruhigen und sternklaren Nacht wollen wir am nächsten Morgen aufbrechen in Richtung Elephant Island.

Enterprise Island Governoren

Es ist bereits Nachmittag, als wir Enterprise Island erreichen. Es ist grau, trüb. Aus den tief hängenden Wolken fällt leichter Niesel.

Nahe einer von einem Gletscher eingefassten Bucht lassen wir den Anker fallen. Hier in Foyn Harbour liegt das rostige Wrack der Governøren. Das Schiff fungierte Anfang des 20. Jahrhunderts sozusagen als schwimmende Walfabrik. Vom Walfang bis zur Verarbeitung des Blubber zu Öl wurde alles an Bord erledigt. Es gehörte zu den größten und technisch fortgeschrittensten Walfabrikschiffen seiner Zeit.

1915 geriet die Governøren in Brand. Der Kapitän setzte es hier auf Grund, um Mannschaft und einen Teil der Fracht zu retten. Die 85 Mann Besatzung blieben unversehrt. Das Wrack wurde zu einer Erinnerung an die Geschichte des Walfangs in der Antarktis. Halb versunken, rostig, trotzig aus dem Wasser aufragend, noch immer imposant ist es heute zur Heimat von Antarctic Terns (Küstenseeschwalben) geworden. Auch im näheren Umkreis zeugen weitere Überbleibsel von diesen historischen Zeiten: zahlreiche Festmacher an den felsigen Küsten der Inseln, rostige Ketten oder hölzerne Wasserboote, die damals der Frischwasserversorgung dienten.

Das trübe, graue und nasse Wetter passt irgendwie zum Verfall der vor sich hinrottenden Relikte und zu diesem durchaus düsteren Kapitel der Antarktis.

Glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert und die Walbestände wieder etwas erholt. Es gibt sie hier wieder. Wenn auch nicht ganz so zahlreich wie zu Ende des 19. Jahrhunderts, haben wir doch auch heute wieder viele von ihnen gesehen und – im Nebel – vor allem gehört.

Auch jetzt hören wir sie wieder in der Nähe blasen, atmen… irgendwo hier müssen welche sein. Und wir machen uns auf mit dem Dinghi, wollen unser Glück versuchen, sie zu finden.

Wir tasten uns knapp zwei Stunden durch den Nebel, stoppen immer wieder, lauschen. Stille, keiner wagt zu atmen. Da! Wir hören einen Blas! Versuchen Richtung und grobe Entfernung auszumachen, was bei diesen Verhältnissen schwer ist. Die Stille und der Nebel tragen die Geräusche meilenweit. Wir fahren ein Stück in die vermutete Richtung und starten das Spiel von neuem. Wieder und wieder. Die Wale halten uns zum Narren, mittlerweile ist der Blas aus mehreren Richtungen zu hören. Wir entscheiden uns für eine und haben Glück. Unsere Geduld wird belohnt: irgendwann lichtet sich der Nebel und in einiger Entfernung können wir sie sehen. Es sind drei Buckelwale. Ein vierter nähert sich aus einer anderen Richtung. Wir fahren ihnen mit dem Dinghi noch ein Stück entgegen. Dann stellen wir den Außenbordmotor ab, lassen uns treiben und beobachten sie still und ehrfürchtig. Sie kommen langsam näher, alle vier, sind irgendwann bei uns, neben uns. Schwarzglänzend. Tauchen auf, ab, wieder auf, unter uns hindurch. Wir halten den Atem an. Die Wale blasen, atmen, schnaufen in ihrem ganz eigenen, ruhigen Rhythmus. Dieses archaische Geräusch, diese Riesen der Ozeane so nah bei uns – das ist unglaublich beeindruckend, macht immer wieder Gänsehaut. Eine Begegnung, ein Erlebnis, das unter die Haut geht.

Port Lockroy

Sightseeing

Unterwegs von Vernadsky Station nach Norden passieren wir die Nordwestküste der Antarktischen Halbinsel und damit den Teil, der am häufigsten von Antarktis Touristen angelaufen wird. Gut erreichbar, im Sommer meist eisfrei, nur die Drake Passage muss auf dem Weg von Ushuaia aus hierher passiert werden. Die Zahl der Expeditionskreuzfahrtschiffe ist wie die Zahl der Touristen in den vergangenen Jahren extrem angestiegen, entsprechend häufen sich die Anlandungen an besonders beliebten, leicht zugänglichen Orten. Es gibt strikte Zeitpläne, enge Zeitfenster, jede einzelne Anlandung muss vorab angemeldet und gebucht werden.

Wir waren die letzten Wochen glücklicherweise meist in abgelegenen Gegenden unterwegs, im Weddell Meer oder weit im Süden. Erst hier an der Westküste, rund um den Lemaire Kanal, haben wir ab und an einen Cruiser gesichtet. Doch jetzt neigt sich die Saison dem Ende, der Antarktische Sommer weicht bereits dem Herbst, viele Schiffe sind bereits zurück im Norden, selbst die viel besuchten Orte wieder einsam und verwaist.

So haben und nutzen auch wir auf unserem Weg die Gelegenheit, einige der touristischen Hot Spots anzulaufen und haben die letzten Tage sozusagen ein wenig Sightseeing an der Nordwestküste betrieben.

Port Lockroy

Am Mittwoch haben wir Vernadsky verlassen und ein zweites Mal den Lemaire Channel, diesmal nordwärts, passiert. Es wird Herbst, die Einfahrt war eisig. Wale haben uns begleitet, auf der Nordseite empfing uns kalter Wind mit 25 Knoten aus Nord und eine kräftige Welle auf die Nase.

Port Lockroy liegt an der Westküste von Wiencke Island im Palmer Archipel. Der Naturhafen wurde von der vierten französischen Antarktisexpedition (1904-1905) unter Leitung des Polarforschers Jean-Baptiste Charcot entdeckt und diente später dem Walfang. Auf der benachbarten Goudier Insel wurde bis 1962 die britische Forschungsstation A betrieben. In den neunziger Jahren renoviert wird sie heute als Museum samt Souvenirshop genutzt. Außerdem befindet sich hier das südlichste Postamt der Welt. Dies macht Port Lockroy zu einem der beliebtesten Ziele für Antarktis-Kreuzfahrtschiffe. Doch die Saison ist fast beendet und wir sind allein in Port Lockroy.

Fast: Auf der Insel lebt eine größere Kolonie Gentoo Pinguine (Eselspinguine). Auch die Station / das Museum ist noch besetzt, obwohl seit geraumer Zeit aufgrund der Vogelgrippe geschlossen und für Besucher nicht zugänglich. Wir kontaktieren die Station, erfahren, dass wir gern Post aufgeben können, wenn wir wollen. Allerdings würde diese erst Anfang der kommenden Saison abgefertigt und via Falklands versendet werden können, da die Abreise der Mitarbeiterinnen unmittelbar bevorsteht.

Die Idee, in gut einem Jahr unsere Lieben daheim mit einer Postkarte aus der Antarktis zu überraschen oder selbst eine zu bekommen (so diese denn ankommen sollte), gefällt uns. Wir können zwar keine im ansässigen Souvenirshop kaufen, aber auf der Selma finden sich noch ein paar. Wir schreiben fleißig an Familien, Freunde, einander … , sammeln britische Pfund fürs Porto und übergeben später der Station per Dinghi unsere Post.

Pinguine und Walknochen

Die Pinguinkolonie tummelt sich in unmittelbarer Nachbarschaft am Jougla-Point, einer felsigen Halbinsel. Inmitten der Kolonie liegen Unmengen an Walknochen, die vor vielen Jahren Jacques-Yves Cousteau hier zu einem nahezu vollständigen Skelett zusammengetragen hat. Überbleibsel der Walfangzeiten in dieser Bucht. In der Kolonie herrscht wie immer geschäftiges Treiben. Küken im Wechsel vom flauschigen Kinderflaum zum Federkleid der Erwachsenen jagen hinter ihren Eltern her, fordern mit Nachdruck eine Mahlzeit nach der anderen ein. Wieder und wieder wechselt eine grosse Portion zuvor gefangener Krill vom Schnabel der Eltern in den ihres Kükens.

Pinguine stehen reglos, manche zerzaust und geduldig ihre Mauser ertragend, auf den Felsen. Andere wandern von hier nach dort, einem sich dem Betrachter nicht immer erschliessenden Plan oder Ziel folgend. Unsere Anwesenheit scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken – wahrscheinlich sind sie hier ganz andere Menschenmengen gewohnt.

Der Wind frischt auf, wir machen uns auf den Rückweg zur Selma. Das Ablegen mit dem Dinghi zwischen den vielen Felsen bei auflandigem Wind gelingt erst nach mehreren Versuchen.

Am nächsten Morgen geht es weiter, es ist grau und kalt. Auf leichten Niesel folgen einige Sonnenlöcher, die in der Ferne treibende Eisberge auf dem dunkelgrauen Wasser zum glitzern oder leuchten bringen. Aufkommender Wind lässt die Hoffnung aufkeimen, Segel setzen zu können, doch er schläft wieder ein. Nebel zieht auf, bei spiegelglatter See sehen wir leider wenig von der spektakulären Kulisse des Neumayer Kanals. Später, in der Gerlache Strait, treffen wir wieder auf Wale. Überall, wohin man schaut. Schlafende, wandernde, jagende, fressende Wale. Fern, nah, ganz nah, direkt neben der Selma. Diese Begegnungen, die Geräusche sind immer wieder zutiefst beeindruckend.