Auf Wiedersehen Falklands

Abschied

Nach fast zehn Tagen hier auf den Falklands ist es nun an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Unsere Expedition Sailing SOUTH 2024 geht hier zu Ende. Und wir als Crew gehen vorerst wieder getrennte Wege. Daran müssen wir uns nach dieser langen, intensiven gemeinsamen Zeit alle erst einmal gewöhnen, wie überhaupt an das Leben danach. Der Abschied fällt unendlich schwer.

Die Falklands waren ein überraschendes und ganz besonderes Kapitel dieser Expedition. Und sie sind definitiv eine eigene, längere Reise wert! So viele Küsten und Inseln lassen sich hier noch entdecken. Mit Südgeorgien haben wir sowieso noch eine Rechnung offen. Das ließe sich ja vielleicht miteinander verbinden? Die Ideen im Kopf nehmen jedenfalls schon langsam Gestalt an …

Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer 🙂

Falklands Berge

Gipfelglück und Geschichte

Wir hatten bei David im ehemaligen Boathouse direkt am Hafen mit Blick aufs Wasser eine wunderbare Bleibe, auch wenn wir uns nach der langen Zeit an Bord der Selma erst einmal an den vielen Platz und die Verteilung auf zwei riesige Apartments gewöhnen mussten. Gemeinsames abendliches Kochen oder Ausgehen und tagsüber Unterwegs-Sein war deshalb an der Tagesordnung. Nicht zuletzt wegen der Vielzahl an Kreuzfahrt-Touristen, die auch jetzt zum Saisonende noch ungefähr jeden zweiten Tag scharenweise in das kleine Städtchen eingefallen sind.

An jenen Tagen haben wir Stanley den Rücken gekehrt und waren – wenn nicht an der Küste oder offroad zu den Pinguinen unterwegs – wandern.

Westlich von Stanley erstreckt sich eine karge, weite, hügelige, goldgelbe Landschaft. Oft durchsetzt von sogenannten „stone runs“ oder „stone rivers“ – weitläufigen, meist linearen Feldern aus riesigen neben- und übereinander gestapelten grauen Quarzit-Blöcken, die die Hänge säumen und herunterzufließen scheinen wie Wasserfälle aus Stein – ein geologisches Phänomen und Überbleibsel der letzten Eiszeit, welches bereits Charles Darwin begeistert beschrieb.



Felsige Kämme und Gipfel locken trotz relativ geringer Höhe mit schönen Aussichten, grandiosen Panoramen und jeder Menge Geschichte – Spuren, Relikten und Gedenkstätten aus der Zeit des Falklandkrieges. Fast alle dieser umliegenden Berge waren Schauplätze der militärischen Auseinandersetzung zwischen Argentinien und Großbritannien – viel zu oft mit tödlichem Ausgang, wie die unzähligen Kreuze und Gedenktafeln auf den Gipfeln zeigen.

Wir erwanderten – mal bei Regen, oft bei Sonne, immer bei starkem Wind – Mount Harriet, Mount Tumbledown, die Two Sisters oder Mount Longdon. Und an manchen Abenden, wenn wir zurück kamen, erwartete uns Alan, der in der Zwischenzeit bei Adrian am Murrell River Fliegenfischen war, mit frischer Lachsforelle oder Mullet.

Besser als bei frisch geangeltem Fisch mit selbst frittierten Kelp-Chips, gesammelten Tea-Berries und einem Glas Falklands-Gin oder einer Runde Pisco Sour können die Abende nicht ausklingen. Doch so schön es hier auch ist – langsam wird es Zeit, Abschied zu nehmen.

Falklands Pinguine

Ein Paradies für Pinguin-Fans

Fünf verschiedene Arten Pinguine leben auf den Falklands: Magellanpinguine, Eselspinguine, Felsenpinguine, Goldschopfpinguine und Königspinguine. Wir hatten das Glück, vier von ihnen anzutreffen und beobachten zu können.

Nicht weit von Stanley, nach einem malerischen Strandspaziergang erreicht man eine Kolonie Eselspinguine nahe Yorke Bay Pond.
Und wir hatten eine Extra-Portion Glück: Selten verirren sich auch einzelne Königspinguine an diesen Strand.

Bei Gypsy Cove, aber auch an zahlreichen anderen Küstenabschnitten rund um Stanley, nisten Magellan-Pinguine in ihren Erdlöchern.

Etwas weiter und beschwerlicher ist der Weg zu zwei anderen Vertretern.

Auf der Murrell Farm zu den Punks unter den Pinguinen

Zwei Kolonien Felsenpinguine findet man an der Küste zum Berkeley Sound auf dem Gelände der Murrell Farm.

Adrian und sein Sohn, die gemeinsam die Farm mit ca. 3.000 Schafen bewirtschaften, haben uns mitgenommen auf eine wilde Offroad-Fahrt durchs weite Land, um uns die kletter- und sprungfreudigen Pinguine zu zeigen. Wir hatten Glück, sie noch anzutreffen. Hoch oben in der felsigen Steilküste waren fast ausnahmslos alle Tiere mitten in der Mauser und sahen ziemlich ramponiert und zerzaust aus. Lauter Punks an einem Bad Hair Day …
Das saftige Grün oberhalb der Küste und zwischen den Felsen war weiß gesprenkelt vom Federflaum. Gut eine Woche später, im neuen Federkleid, wird die gesamte Kolonie aufbrechen und erst nach dem Winter hierher zurückkehren.

Auf englisch heißen die Felsenpinguine Rockhopper – ein ziemlich treffender Name. Die eher kleinen Pinguine mit den roten Augen und gelben Augenbrauen bewegen sich fast ausschließlich hüpfend von Stein zu Stein durch die wild zerklüftete Steilküste, was mal mehr, mal weniger elegant, aber immer sehr lustig aussieht.


Nach dem Ausflug zu den Pinguinen zeigten uns Adrian und sein Sohn noch die Farm und die Wollproduktion, erzählten von der Geschichte der Farm, ihrem Leben auf den Falklands, dem Leben als Farmer, Schafzüchter, Selbstversorger und Guide gleichermaßen, und zurück in Stanley gab es als Dankeschön Kaffee und Kuchen.

Die Könige von Volunteer Point

Ein ganz besonderes Highlight waren jedoch die Königspinguine.
Nicht nur, weil wir diese aufgrund unserer Planänderung am Beginn unserer Reise – Südgeorgien nicht anzusteuern – bisher verpasst hatten. Sondern auch, weil dies unser letztes gemeinsames Abenteuer als Selma-Crew war. Nur Piotr war leider nicht dabei, blieb an Bord, um die Selma für die bevorstehende Abreise klarzumachen.

Und ein Abenteuer ist die dreistündige Fahrt zur Kolonie am Volunteer Point durchaus. Drei Stunden one way, wohlgemerkt. Zwei Stunden davon muss man sich offroad und querfeldein durch die – zu dieser Jahreszeit – extrem feuchte, weiche Torflandschaft kämpfen. Glücklicherweise hatten wir mit Artur und Susan zwei erprobte Fahrer am Steuer. Festgefahren haben wir uns trotzdem mehrfach und mussten uns jeweils gegenseitig wieder aus dem Schlamm ziehen. Das war spannend, aufregend, ziemlich holperig, aber auch sehr lustig.


Und der weite Weg hat sich in jeder Hinsicht gelohnt.

Volunteer Point ist ein Naturreservat im Privatbesitz der Johnson’s Harbour Farm. Neben Esels- und Magellan-Pinguinen, Kormoranen, Delfinen und Seelöwen hat hier die größte Kolonie Königspinguine der Falklands ihr Habitat. Circa 1.500 Brutpaare leben hier und ziehen jährlich zwischen 600 und 700 Küken groß. Sie bewegen sich zwischen dem zwei Meilen langen weißen Sandstrand und dem grünen Grasland der Brutkolonie hin und her. Genau wie wir, die wir hier zwei Stunden staunend, ehrfürchtig beobachtend verbracht haben.

Wir beobachten Königspinguine einzeln oder in Gruppen samt ihrer ganz eigenen Dynamik. Am Strand, im Wasser, unterwegs zur Kolonie. Schwimmend, auf dem Bauch liegend, aufrecht. So ernsthaft wirkend, wenn sie gemächlichen Schrittes vorüberlaufen. Gern im kleinen Pulk. Die erwachsenen Tiere wunderschön und farbenprächtig. Die Küken in ihrem dicken, braunen Flaum das komplette Gegenteil: so plump und etwas unbeholfen. Immer unter Beobachtung und im Schutz der Kolonie. Wartend auf den Nahrung bringenden Elternteil.



Und was für eine Geräuschkulisse! Ein vielstimmiges Rufen aus tausenden Kehlen. Jeder hat seine eigene Stimme, sie erkennen und finden sich unter Tausenden. Stundenlang kann man das geschäftige Treiben beobachten. Wir entdecken auch einige noch sehr kleine, vor wenigen Tagen geschlüpfte Küken. Ganz vereinzelt wird sogar noch ein Ei vorsichtig auf den Füßen balanciert. Viel zu spät. In beiden Fällen werden die Küken den nahenden Winter wohl nicht überstehen.

Es ist ein beeindruckendes Naturschauspiel an einem sehr besonderen Ort, und wir sind glücklich, die Königspinguine am Ende unserer Reise nun doch noch getroffen zu haben.

Danke Artur und Susan!

Falklands Küsten

Inselparadies mit Traumstränden

Wir haben wild-schöne Strände entdeckt.

Mal felsig und zerklüftet rund um den Leuchtturm am Cape Pembroke, mal paradiesisch mit weißem Sandstrand, türkisblauem oder smaragdgrünem Wasser und einer grandiosen Dünenlandschaft.

Wir haben in Gypsy Cove und Surf Bay Delfinen beim Spiel in den Wellen zugeschaut, in Rookery Bay einen Seelöwen bei der Jagd nach Pinguinen beobachtet und waren dort und in Yorke Bay selbst schwimmen im erfrischenden, 7 Grad kalten Südatlantik.

Der hier stets kräftige Wind lässt die weiße Gischt meterhoch spritzen. Die Wellen brechen sich krachend an vorgelagerten Felsen oder dem weiten Strand. Riesiges Kelp treibt zwischen den Felsen im kristallklaren Wasser, hüfthohe Büschel aus Tussockgras wogen im Wind, Albatrosse und Riesensturmvögel segeln durch die klare Luft. Ab und an sieht man den Blas eines Wals vor der Küste.

Falklandinseln

Lass dich überraschen!

Habe keine Erwartungen, dann wirst du auch nicht enttäuscht. So oder so ähnlich lautet irgendein Spruch. Etwas optimistischer formuliert könnte es auch heißen: Habe keine Erwartungen, dann wirst du überrascht sein …

Genau so erging es mir oder uns auf den Falkland Inseln, den Islas Malvinas.

Zunächst einmal waren sie nur der Endpunkt unserer Reise. Deshalb habe ich im Vorfeld auch keinen Gedanken daran verschwendet. Klar war, dass wir hier ein paar Tage Zeit einplanen – als Puffer, zum Ankommen an Land, als eine Art Übergang von der Zeit auf See, an Bord der Selma, unserer Expedition … hin zu dem Danach, dem Ende der Reise, der Heimkehr. Eine Zeit zwischen den Welten sozusagen, zum Abgewöhnen und wieder Eingewöhnen. An den festen Boden unter den Füßen, an die Zivilisation mit allem was dazu gehört.

Aber die letzten Tage waren so viel mehr! Wie ein ganz besonders leckeres Dessert nach einem ohnehin schon perfekten Menü.
Nicht, dass es noch ein Sahnehäubchen gebraucht hätte …

Die Falklandinseln sind ein echtes Juwel!

Großartige, weite Landschaften. Rau und karg. Leer. Eine Mischung aus Schottischen Highlands und Prärie, Grasland des mittleren Westens. Grauer Fels, farbenprächtig leuchtende Flechten, sattes moosiges Grün, weiß-gelbes, im Wind wogendes Gras auf schwarzen, torfigen Böden. Wilde, zerklüftete Küsten, paradiesische Sandstrände, türkisblaues Meer. Stürmische Winde, tosende Wellen, grandiose Himmel voller dahinjagender Wolken und zauberhaftem Licht. Ein Naturparadies mit fantastischer Tierwelt, Antarktis light könnte man sagen. Pinguine, Wale, Delfine, Robben, Sturmvögel, Albatrosse …


Und obendrein wunderbare offene und hilfsbereite Menschen.

Die Mehrzahl (90%) der mit 3.000 ohnehin wenigen Einwohner konzentriert sich in Stanley (die einzige Stadt der Falklandinseln und zugleich deren Hauptstadt und Regierungssitz). Der Rest verteilt sich auf einzelne Farmen, irgendwo im Nichts, oft Meilen voneinander entfernt. Asphaltierte Straßen gibt es kaum, man ist auf Gravel Roads oder gleich offroad unterwegs. Ohne ein entsprechendes Auto geht gar nichts. Und zwischen den Inseln (etwa 200 sind es insgesamt, neben den beiden großen Hauptinseln Ost- und Westfalkland) ist oft eines der hier verkehrenden kleinen Flugzeuge die erste Wahl.

Wir haben allerdings auf Flüge verzichtet und unsere Erkundungen auf die Gegend rund um Stanley auf Ostfalkland beschränkt. Zu Fuß und – dank Artur und Marianna, die uns spontan ein Auto geliehen haben – auf vier Rädern. Wobei beschränkt angesichts der vielen Erlebnisse der falsche Begriff ist.

Abschied

Am Tag danach

Dieser Morgen ist anders. Und alles andere als gut.

Ich sitze hier im Bootshaus, unserer Unterkunft, mit meinem ersten Kaffee in der Hand, blicke aus dem Fenster auf den Hafen. Eigentlich ein Traumblick, direkt aufs Wasser, direkt nach Osten in den Sonnenaufgang. Nach zwei Tagen bereits vertraut.


Doch heute fehlt etwas und das Bild passt für mich so überhaupt nicht: Der Anleger ist verlassen und leer. Die Masten der Selma sind verschwunden, genauso wie Piotr, Voy, Ewa. Diese Leerstelle schmerzt.

Ich war nie wirklich gut im Abschied nehmen. Erst recht nicht, wenn dies bedeutet, am Pier, an Land zurückzubleiben, während „mein“ Schiff wieder in See sticht und langsam in Richtung Horizont verschwindet. Oder – wie gestern – in die Dunkelheit der Nacht.

Schiff ahoi

Gestern am späten Abend war es schließlich soweit. Es kam, wie es irgendwann kommen musste. Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen. Zumindest von der Selma und von Piotr, Voy und Ewa. Abschied nach sieben gemeinsamen Wochen mit einer langen Vorgeschichte, nach einem wunderbaren Abenteuer, einer fantastischen Reise mit einem perfekten Team und einem ganz besonderen Spirit und Zusammenhalt an Bord.

Wir haben uns in Etappen voneinander verabschiedet. Sind vor zwei Tagen von Bord gegangen und haben unser Quartier hier in Stanley im ehemaligen Bootshaus bezogen. Haben einen wunderbaren Abschiedsabend verbracht, ausgiebig gegessen, getrunken, gefeiert, gesungen, geredet, gelacht. Und noch einen letzten gemeinsamen Ausflug gemacht, zu den Königspinguinen am Volunteer Point. Doch während wir noch ein paar Tage Zeit hier auf den Falklands haben, müssen Piotr, Voy, Ewa und die Selma zurück nach Ushuaia.



Es fällt oftmals schwer, loszulassen. Besonders aber nach einer solch intensiven Zeit voller gemeinsam geteilter Erlebnisse.

So viel geht einem in solchen Momenten durch den Kopf, so viel möchte man noch sagen – aber sucht vergeblich die richtigen Worte. Glücklicherweise braucht es die manchmal gar nicht. Eine stille, feste Umarmung tut es auch.
Und so standen wir gestern Nacht im Licht des Vollmondes gemeinsam noch einmal an Deck, im Kreis, Arm in Arm, unsere Köpfe zusammengesteckt – ein eingeschworenes Team. Lange, schweigend. Jeder ganz bei sich und doch getragen vom Miteinander-Sein. Es war ein herzlicher Abschied voller Wärme und erfüllt vom Spirit der gesamten Reise.

Diesen Moment werde ich für immer in meinem Herzen bewahren, so wie auch jeden einzelnen Moment dieser letzten Wochen. Ich werde sie vermissen, diese zehn Menschen, die Selma, das Leben an Bord. Das Eis, das Licht des Südens, die Weite des Südpolarmeers, Wind und Wellen, den Horizont und das gemeinsame Unterwegs Sein auf dem Ozean, im Hier und Jetzt.

Lange stehen wir so, dann lösen wir erst uns voneinander und wenig später die Leinen. Die letzten Worte und Wünsche fliegen hin und her, ein allerletzter Gruß aus dem Horn, dann verschwindet die Selma kurz vor Mitternacht langsam in der Dunkelheit. Irgendwann ist nur noch das weiße Topplicht zusehen, gleich einem Stern am Nachthimmel.

Wir stehen schweigend an der Pier, die Augen feucht, voller Wehmut und Dankbarkeit. Und das Herz voller Hoffnung und Gewissheit, dass dies nur ein Abschied auf Zeit ist. Nicht umsonst heißt es Auf Wiedersehen. Hasta luego.
Auf bald also, liebe Selma. Wir werden uns wiedersehen, da bin ich mir sicher.

Gute Reise, fair winds. Und danke für alles.

Port Stanley – Ankerplatz SH4

Endlich segeln!

Was für ein famoser letzter Segeltag! 

Besser hätten wir es nicht haben können. Vor allem nach den letzten Tagen, in denen uns der Wind immer wieder im Stich gelassen hat und die Drake meist so zahm war wie ein Schoßhündchen, haben wir dies kaum noch zu hoffen gewagt.

Die letzten einhundert Meilen nach Port Stanley sind wir geflogen. 

Meine Wache, morgens von 2.00 bis 6.00 Uhr, war bis auf den anfänglich sternklaren Himmel noch wenig vielversprechend. Ein Wechselspiel zwischen kein Wind und kaum Wind und dies aus allen Richtungen. Nichts, womit man etwas anfangen hätte können.
Also haben wir die Selma sich selbst überlassen und ich über ihre Drift gewacht. Meine Gedanken ebenfalls driften lassen. 
Ab und an habe ich das Ruder ein Grad mehr nach Steuerbord oder Backbord gerichtet, um unseren Kurs zu halten. Dabei versucht, den Windmesser zu hypnotisieren. Die Zahl der Knoten in die Höhe zu treiben, den Zeiger der Richtung zu stabilisieren. Manchmal hat dies für einen kurzen Zeitraum funktioniert, immer dann, wenn eine große dunkle Wolke über uns hinwegzog. Aber nie konstant genug, um die Segel zu setzen. Und so harrte ich ungeduldig einer heranziehenden dunklen Front entgegen, in der Hoffnung, dass diese uns endlich den ersehnten Wind bringen möge. Piotr kam derweil in den Genuss einer extra Portion Schlaf. 


Und dann, gegen sieben, waren wir plötzlich und endlich raus aus dem blauen Loch der Flaute. Von jetzt auf gleich. Von blau zu rot. Von null auf knapp 40 Knoten Wind. Und eine hohe Dünung, gemixt mit steilen Wellen. 


Was haben wir uns gefreut, endlich wieder richtig segeln zu können. Haben uns abgewechselt am Steuer, die Wachen getauscht, so dass jeder noch einmal in den Genuss kam. Haben mit leuchtenden Augen jede Minute am Ruder ausgekostet. Sind mit bis zu 12 Knoten über schaumkronengespickte 6 Meter Welle gesurft und haben dabei immer wieder eine ordentliche Salzwasserdusche abbekommen. Egal – wir hatten einen Riesenspaß dabei. Genau wie die Albatrosse und Sturmvögel, die um uns herum in Hochgeschwindigkeit durch die Luft und durch die Wellentäler gesegelt sind. 

Land in Sicht 

Die Zahl der Vögel nahm mit jeder Stunde zu. Immer wieder trieb Kelp auf der Oberfläche vorbei – Anzeichen dafür, dass wir uns langsam aber sicher Land näherten. Am späteren Nachmittag haben wir zwei Fischtrawler passiert. Dann kamen die Falklandinseln in Sicht, und damit eine Landmarke, die das Steuern inmitten der Wellenberge erheblich erleichtert hat.

Eine Gruppe Delphine (Stundenglas-Delphine, wegen ihrer wie eine Sanduhr geformten weißen Zeichnung wegen so genannt) tauchte plötzlich auf und begleitete uns für eine Weile. Spielte mit Selmas Bugwelle. Die eher kleinen Vertreter ihrer Art tauchten und sprangen um die Wette, blitzschnell im schäumenden Wasser. Schwammen von links nach rechts, mal neben uns, mal unter uns hindurch. Sie schienen Spaß zu haben, genau wie wir. Einer von ihnen sprang tatsächlich in hohem Bogen vorn über Selmas Bug. Am Steuer stehend traute ich meinen Augen kaum, nahm sprachlos und staunend diesen ganz besonderen Abschiedsgruß entgegen. 

Stanley

Der Leuchtturm von Cape Pembroke kam in Sicht, überall entlang der flachen Küste und an vielen vorgelagerten Felsen warf sich die See gegen das Land, sah man die Gischt meterhoch spritzen. Wir haben nur noch die Fock stehen lassen. Die Abendsonne kam heraus, vergoldete die letzten Meilen, tauchte die Küste und uns in zauberhaftes Licht, die Landschaft in wunderbar warme Farben. Flach und Gelbgrün, zum Teil mit hohem Tussock Gras bewachsen präsentierten sich die Inseln.


Mit immer noch acht Knoten Fahrt sind wir in die Bucht von Port William und durch die Engstelle zwischen Navy und Engineer Point nach Stanley Harbour hinein gekreuzt. Hatten als Team an Deck alle Hände voll zu tun. Vier Wenden später hatten wir Stanley vor Augen, war es Zeit, das letzte Segel zu bergen. Den uns zugewiesenen Ankerplatz anzusteuern. Bei dem Wind hätte man auch nur ungern an der Pier angelegt. Und mir war es mehr als recht, das Land, die vielen Lichter und Geräusche der Stadt noch etwas auf Abstand zu halten.

Ein letztes Mal ließen wir den Anker ausrauschen. Und waren plötzlich am Ziel. 
Nach gut 3.000 Seemeilen angekommen in Port Stanley auf den Falkland Inseln.



Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus. Ungläubigkeit. Wehmut. Am Tag zuvor war es noch so zäh, das Ziel weit entfernt… und jetzt: Irgendwie in den letzten Stunden viel zu schnell verflogene Meilen. Von einhundert sozusagen schlagartig wieder zurück auf Null. Diesmal endgültig. 
Mit jeder Umarmung teilten wir Freude und Dankbarkeit, es gemeinsam geschafft zu haben. Aber gleichzeitig auch die langsam bewusst werdende, schmerzhafte Erkenntnis, dass dieses gemeinsame Abenteuer nun vorbei ist. Wir auch wieder  loslassen müssen.
Und so stand nicht nur ich einen Moment für mich allein gedankenverloren irgendwo an Deck, den Blick mal Richtung Stanley, mehr aber zurück Richtung Meer in die Ferne gerichtet. Versucht, den Augenblick festzuhalten. Alles festzuhalten. Viele Momente der letzten Wochen gingen mir durch den Kopf. All das Erlebte, Durchlebte, Erreichte. Unser gemeinsames Sein an Bord der Selma.

Es wurde Zeit, darauf anzustoßen. Die am 15. Februar an Shackletons 150. Geburtstag angebrochene Flasche Whisky hatte ich für diesen Moment aufgehoben. An Deck, in der Dunkelheit, vor den Lichtern der Stadt ließen wir die Gläser klirren. Die richtigen Worte zu finden, fiel schwer. 

Mit Shackleton und einer Idee fing alles an. Mit einem Glas Shackleton haben wir vor mehr als einem Jahr, im Dezember 2022, unsere gemeinsamen Pläne besiegelt, während einer Zoom Konferenz, damals jeder vor dem Bildschirm an einem anderen Ort dieser Welt. Wir – bis auf emails und einige digitale Treffen – einander völlig unbekannt. Gestern, hier in Stanley, haben wir dieses Abenteuer nun als Freunde mit einem Glas gemeinsam zu Ende geschrieben. Mit Neptun einen großen Schluck geteilt, dankbar für den glücklichen Verlauf und Abschluss unseres Vorhabens. 

Es braucht eine Weile, dieses Vorbei-Sein annehmen zu können, bei mir jedenfalls. Zuerst ist da mehrheitlich Sentimentalität, Traurigkeit, eine gewisse Leere. Doch ein wenig tröstet dieser letzte famose Segeltag darüber hinweg, dass wir nun angekommen sind. Und unsere Reise – zumindest die auf der Selma – hier in ein paar Tagen zu Ende sein wird. Noch haben wir jedoch Zeit, anzukommen in dieser so ganz anderen Welt als jener der letzten Wochen. In der Zivilisation, andere Geräusche zu hören (Autos), andere Menschen zu treffen, andere Dinge zu sehen. 
Drei Tage, die wir noch alle gemeinsam an Bord der treuen Selma verbringen können. Zum langsam Abgewöhnen sozusagen. Und danach noch eine weitere Woche hier auf den Falklands