Westküste — Lemaire Channel

Wir verlassen den unglaublich schönen aber unruhigen Ankerplatz im frühen Morgengrauen. Direkt um die Ecke wartet die spektakuläre Einfahrt in den Lemaire Channel auf uns. Diese sechs Kilometer lange Meerenge zwischen der Halbinsel und der vorgelagerten Booth Insel ist sehr schmal, an ihrer engsten Stelle misst sie nur 720 m Breite. Für uns kleine Yacht allemal viel Platz, auch wenn wir aufgrund des vielen Eises ordentlich Slalom fahren müssen. Große Kreuzfahrer entgegen kündigen ihre Durchfahrt auf Funk an, da jeweils nur ein Schiff den Kanal passieren kann. Zu beiden Seiten des Kanals erheben sich die Berge auf bis zu 1.000 Meter Höhe. Gepaart mit zahlreichen Gletschern eine spektakuläre Kulisse, die die Durchfahrt zu einem beeindruckenden Erlebnis macht.

Auf der Südseite erwarten uns zahlreiche blaue Eisberge, und Hovgaard Island – eine größere Insel inmitten einer sich hier west- und südwärts ausbreitenden Schärenlandschaft aus zahlreichen kleinen, meist flachen Inseln. Gegen neun Uhr fällt der Anker. Die Insel ist von einer sanft gerundeten, schneeweißen Gletscherkappe bedeckt. Deren 368 Meter hohen Gipfel will ein Großteil von uns besteigen. Unda und Ursula ziehen derweil eine kleine Tour im Kajak zu den benachbarten Pinguinen vor.

Wir packen die Schneeschuhe ins Zodiac und werden während der Überfahrt zur Insel wie bereits bei Astrolabe Island von einem neugierigen Seeleoparden begleitet und verfolgt. Etwas zu neugierig für unser Empfinden, beginnt er doch nach einiger Zeit immer wieder die Seitenwände des Dingis mit Kopf und Körper zu streifen, taucht unter uns hindurch, schwimmt uns wieder an … Im glasklaren Wasser ist er gut zu sehen, seine Kraft und Eleganz sind beeindruckend, sein aus der Nähe riesiger Kopf und das plötzlich geöffnete Maul sind es auch. Wir haben erneut das Bild dieser spitzen Zähne im orangefarbenen Gummi vor Augen und beschleunigen. Der Seeleopard auch. Und er ist schnell – klar, schließlich jagt er mit Vorliebe pfeilschnelle Pinguine. Wirklich abschütteln können wir ihn nicht. Wir sind froh, als wir an Land kraxeln, wünschen Voj eine gute Rückfahrt, ziehen unsere Schneeschuhe an und sind startklar.

Knapp anderthalb Stunden brauchen wir für den Aufstieg auf den von unten so unscheinbar aussehenden Hügel. Kleine schwarze Punkte in der weißen, weiten Landschaft. Der Gletscher ist schneebedeckt. Je höher wir kommen, umso schöner der Ausblick auf die Schärenlandschaft, die unzähligen blauweißen Eisberge, die Eiswürfeln gleich im Meer treiben, auf das südliche Portal des Lemaire Channels und die Gipfel der Antarktischen Halbinsel, die leider größtenteils in höheren Wolkenschichten verborgen bleiben. Und ganz klein da unten, zwischen all dieser Pracht liegt unsere rote Selma.

Es tut gut, mal wieder ausgiebig die Beine zu bewegen und wir genießen die Abwechslung dieser Schneeschuhtour sehr. Wieder zurück an der Küste interessiert sich ein Skua für unsere Schneeschuhe, und wir entdecken ein altes Depot, noch immer gefüllt mit Vorräten und Notfall-Equipment. Alan identifiziert es aufgrund seines Inhaltes und der Farbcodierungen als eindeutig britisch. Auf dem Rückweg bleiben wir diesmal unbehelligt, Voj und wir nehmen mit dem Zodiac eine andere Strecke, um dem Seeleoparden nicht erneut sein Revier streitig zu machen.

Nach einer Stärkung lichten wir den Anker und brechen auf, Kurs Süd. Circa zwei Stunden sind es bis zur ukrainischen Vernadsky Station. Das ist unser nächstes Ziel. Hier wollen wir Piotrs Freunden einen Besuch abstatten und eine zweitägige Pause einlegen, um etwas Ruhe zu finden und dem angesagten Starkwind der nächsten Tage aus dem Weg zu gehen. Wir sind gespannt.

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