Am 1. März brachen wir früh zum südlichen Ende der Insel Adelaide und zur chilenischen Basis Teniente Carvajal auf. Diese – ehemals britische, dann an Chile verkaufte – Basis wurde seit dem Winter 2014-15 nicht mehr genutzt. Aufgrund von dichtem Treibeis, Wellengang und Wind mussten wir uns einen Weg zum den Ankerplatz bahnen. Unterwegs, auf dem Weg dorthin, erreichten wir auch den südlichsten Punkt unserer Reise bei 67 47.700 S. Das ist zwar kein nennenswerter Rekord im Allgemeinen, aber einer für die meisten von uns.
Während wir unterwegs waren, bereitete sich das Mountaineering Team auf den geplanten Landausflug vor. Aufgrund der Wettervorhersage entschieden wir uns für eine Tour auf Adelaide Island. Und auch nur für kurze Exkursion für eine Nacht statt der ursprünglich geplanten 2 oder 3 Tage.
Wir packten unsere gesamte Ausrüstung für die Gletschertour, Übernachtung und Essen aus. Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, Kocher, Brennstoff und Essen. Nach dem Ankern landeten wir, fuhren das gesamte Equipment in mehreren Fahrten mit dem Zodiac auf die Insel. Wir fanden ein offenes Gebäude auf der Basis, in dem wir unsere Gummistiefel und Schlechtwetterkleidung verstauen konnten und suchten uns einen Ausgangspunkt am Gletscher. Wir liefen an mehreren Gruppen von Pelzrobben vorbei, wurden von ihre Küken schützenden Skuas angeschrien und mit Sturzflügen attackiert, schleppten unsere Ausrüstung an einer Gruppe von riesigen faulenzenden Seeelefanten vorbei und erreichten schließlich den Fuß des Gletschers, der Eiskappe von Adelaide Island: Fuchs Ice Piedmont, Hier schnallten wir endlich unsere Gurte, Steigeisen und Schlitten an.
Wir zogen die Schlitten über den gefrorenen Gletscher bergan und hielten, um die Überreste einer abgestürzten Twin Otter zu begutachten. Jede Menge leere Treibstofffässer lagen auf dem Eis. Die Landschaft wurde immer einsamer und eintöniger, während wir uns Schritt für Schritt zu einem Nunatak (Fels / Berg, der aus dem Eisfeld herausragt) vorarbeiteten.
Wir liefen zu fünft in einer Seilschaft mit Alan an der Spitze. Angeseilt zu sein ist eine Lektion in Geduld, Ausdauer und Wahrnehmung. Der Grund, warum wir angeseilt waren, war der Schutz vor unsichtbaren Gletscherspalten. Wenn eine Person in eine Gletscherspalte stürzt, hängt die Fallhöhe davon ab, wie viel Spielraum zwischen dem Stürzenden und der nächsten Person besteht. Deshalb ist es wichtig, dass das Seil zwischen den Personen möglichst wenig durchhängt. In der Theorie einfach, aber in der Praxis schwierig.
Glücklicherweise waren die Gletscherspalten nicht sehr breit, und wenn jemand in eine Gletscherspalte trat (Gletscherspalten waren mit Schnee bedeckt), rutschten wir glücklicherweise nur bis zum Knie hinein. Man geht möglichst immer im gleichen Tempo, hält an, wenn jemand seine Ausrüstung anpassen muss (meist muss ein Steigeisen nachgezogen werden). Wenn der Hintermann zu langsam / weit hinten geht, zieht es am eigenen Gurt, wenn er zu schnell geht, stolpert man über das lose, schlappende Seil. Manchmal hat man das Gefühl, dass man gleichzeitig vorwärts und rückwärts gezogen wird. All dies muss durch Kommunikation reguliert werden, sonst wird es zu einem nervtötenden, miserablen Spaziergang. Für die Sicherheit des Teams und die eigene Verantwortung ist es wichtig, jederzeit aufmerksam zu sein!
Die Aussicht wurde immer großartiger, je höher wir auf dem Gletscher aufstiegen. Eisberge im Süden und Westen, so weit wir sehen konnten. Weiße Berge, die sich von der grauen, stimmungsvollen See abheben. Es ist eine schwarz-weiß-graue Welt …
Nach 3,5 Stunden Wanderung, gegen fünf, beschlossen wir, unser Lager aufzuschlagen. Unser Zeitfenster war kurz, am nächsten Morgen wollten wir gegen 10 Uhr zurück auf der Selma sein, bevor der Wind auf Süd drehen und das ganze Eis an die Küste drücken würde. Unsere Ziele hatte sich während der gesamten Reise verändert, weiterentwickelt und wir praktizierten maximale Flexibilität. Wir wollten das nehmen, was uns zur Verfügung stand, was möglich war. Wir wollten unterwegs sein, die Abgeschiedenheit genießen, uns für einige Zeit vom Boot lösen, die Umgebung auf uns wirken lassen und uns dafür begeistern. In diesem Sinne haben wir unser Ziel erreicht.
Als wir unser Lager aus zwei Zelten aufschlugen, begann sich der Himmel zu verändern. Von hohen Wolken mit wenig Wind begannen die Wolken, sich auf die Küstenlinie zuzubewegen, die nun gut fünf Meilen hinter uns lag. Da wir uns am äußersten Ende der Insel befanden, war die Hälfte unserer Sicht auf das Wasser gerichtet, die andere Hälfte auf die Berge.
Als die Wolken rasch näher kamen, hatten wir das Gefühl, von ihnen verschlungen zu werden. Als wir mit dem Abendessen fertig waren, war die Sicht fast überall gleich null, wohin wir blickten, war alles rein weiß. Der Horizont verschwand, während der Himmel und das Plateau, der Schnee eins wurden. Whiteout.
Wir krochen gegen halb acht in unsere Zelte und freuten uns auf einen langen Schlaf. Acht Stunden am Stück – mehr als üblicherweise an Bord. Leichter Schneefall setzte ein, die Schneekristalle knisterten auf der Zeltwand, die Temperatur lag irgendwo um die minus 5 bis minus 10 Grad, wir gemütlich in unseren Schlafsäcken. Den meisten von uns blieb ein wirklich erholsamer Schlaf versagt, wir waren oft wach… aber Piotr (der Kapitän) schlief tief und fest.
Um 4.00 Uhr morgens ging es los, die roten Strinlampen erleuchteten das Vorzelt, und die Schneeschmelze für das Frühstück und das Wasser für den Rückweg begann sofort. Wir aßen in unseren jeweiligen Zelten und kamen dann einer nach dem anderen heraus, um die Aussicht zu genießen. Es war klirrend kalt. Der Himmel hatte sich aufgeklart, das Meer in der Ferne sah aus wie zugefroren, war es aber nicht, die Berge waren klar und deutlich. Bis zum Sonnenaufgang würden noch ein, zwei Stunden vergehen. Wir bauten die Zelte ab, verstauten alles auf den Pulkas und machten uns auf den Rückweg vom Plateau. Es fiel ein wenig leichter, da wir nun bergab gingen. Nach einer Stunde kam die Sonne über den Berg, tauchte die weiße Landschaft in warmes Licht, wärmte unsere Gesichter… riesige Schatten wanderten neben uns her. Irgendwann kam die Bucht ins Blickfeld, später das Flugzeugwrack und dann tauchte auch die Selma auf, rot leuchtend in der Morgensonne, ankernd vor Avian Island. Gegen halb neun erreichten wir den Gletscherrand, schnallten Pulkas und Steigeisen ab und hatten wieder felsigen Boden unter den Füßen.
Nachdem wir uns einen Weg zwischen Pelzrobben, Seeelefanten und Skuas gebahnt und unsere Ausrüstung zum Abholpunkt geschleppt hatten, verbrachten wir einige Zeit damit, uns in der verlassenen Chilenischen Basis umzusehen. Der Stützpunkt bot Platz für bis zu 32 Personen und war früher recht groß. Die Briten verkauften die Basis 2003 an Chile. Jetzt dient sie als Zufluchtsort für Seeleute oder anderes Stützpunktpersonal, das sie bei Bedarf nutzen kann (der britische Stützpunkt Rothera ist ein paar Seestunden entfernt).
Während die Berggruppe unterwegs war, ankerte Selma und der Rest der Crew hinter Avian Island. Sie verstauten die Kajaks wieder unter Deck, entspannten sich und genossen Platz an Bord und die Zeit für sich.
Als wir wieder an Bord und alle beisammen waren, setzten wir unseren Kurs nach Norden. Wir fuhren erneut die Ostseite von Adelaide Island hinauf (wir wollten eigentlich außen auf der Westseite der Insel nach Norden, mussten diesen Plan aber wegen der Wettervorhersage und des vielen Eises verwerfen). Bei schönem Sonnenschein und ruhigem Wasser bahnten wir uns unseren Weg durch viele vereiste Gebiete. Dank guter Sicht konnten wir so die Landschaften sehen, die uns auf dem Weg nach Süden wolkenverhangen entgangen waren.
Die Tierwelt ist nach wie vor üppig und vielfältig, Wale werden etwa stündlich gesichtet. Wir stoppten und beobachteten mehrere Buckelwale beim Fressen, die sich nicht allzu sehr an unserer Anwesenheit störten, aber auch nicht zu nahe kamen. Robben auf den vorbei treibenden Eisschollen: Weddellrobben, Pelzrobben, Leopardenrobben und jetzt auch Krabbenfresserrobben. Antarktische Seeschwalben, Skuas, Dominikanermöwen, Kormorane – sie alle erheben sich in die Lüfte und schweben über dem Meer.
Wir waren auf dem Weg zurück, nordwärts. Fuhren über Nacht weiter, nutzten das Eislicht am Bug und bahnten uns langsam unseren Weg, teils durch enge Kanäle, die fast mit Treibeis und Eisbergen verstopft waren. Pfannkucheneis bedeckt nun öfter das Wasser, die Temperaturen bewegen sich um den Gefrierpunkt. Es wird Herbst. Wir segeln durch die gleiche Gegend, aber jetzt in anderer Kulisse.