Neptun und Aiolos, die Götter des Meeres und der Winde, scheinen zu schlafen, ebenso unsere Crew. Es ist 6 Uhr morgens, ich sitze an Deck der Selma, welche in der Dünung schaukelt. Meist sanft, doch manchmal rumpelt und scheppert es auch laut in den Schränken mit den Tassen und Gläsern. Seit 36 Stunden dümpeln wir in der Drake Passage, driften ein wenig durchs Blau. In den Wetterbildern hängen wir in einem blauen Loch fest, einer Zone ohne Wind. Das ist unüblich, meist zieht hier ein Tief nach dem anderen durch, die Drake ist berüchtigt für ihre Stürme.
Jetzt ist sie ein großer graublauer See, am Horizont ein paar weiße Wolkenberge im Westen, während sich im Osten der Himmel für den Sonnenaufgang in Gelb und Orange kleidet. Es ziehen Albatrosse und Sturmvögel vorbei und plötzlich plätschert ein einzelner Pinguin neben dem Boot.
Abschied und Loslassen
Es ist so schön und so friedlich, dass ich melancholisch werde. Dies sind die letzten Tage unserer langen, wunderbaren, erlebnisreichen Reise. Ich möchte gern bleiben in dieser grandiosen Landschaft, mit diesen zauberhaften Menschen, auf diesem treuen Schiff. Einfach weiterfahren, im Moment bleiben.
Deshalb bin ich einverstanden mit dieser Pause, welche uns das Wetter verordnet und genieße den Sonnenaufgang, die Untätigkeit, das kurze Verharren mitten im Ozean.
Gegen 8 Uhr wird es lebendiger an Bord, Kaffee und Tee in der Morgensonne, später ein ausgedehntes Frühstück. So viel Zeit nahmen wir uns bisher selten, meistens waren wir unterwegs im Rhythmus des Wachplans oder mit Landgängen und Exkursionen irgendwie beschäftigt.
Warten auf Wind ist Müßiggang und so dauert es nicht lange, bis die Unruhe der Lebendigkeit eine Idee präsentiert: „Laß uns baden gehen in der Drake!“
Dieser Plan ist verrückt genug, um sofort Anhänger zu finden. Auch der Käptn gibt grünes Licht und will lediglich wissen, wann wir ins Wasser möchten, um die kleine Badeplattform und eine Sicherheitsleine vorzubereiten.
Aus den hintersten Winkeln der Schränke werden Badesachen hervorgeholt, die Skeptiker machen die Kameras startklar, um das Ereignis zu dokumentieren.
Und dann ein beherzter Sprung ins 4,5 Grad kalte Wasser. Der „Drake-Dip“ ist ein zeitlich eher kurzes, dafür sehr erfrischendes Erlebnis mit einem lange prickelnden Nachklang und einer guten Portion Glückshormonen.
Zur Feier des Tages gibt es noch für alle die Möglichkeit zu Duschen und passend zum Badewetter kreiert Paula in der Pantry Toast Hawaii.
14 Uhr kommt leichter Wind auf und um 18 Uhr setzen wir das Großsegel. Auf dem Backbordbug rauschen wir durch die Wellen, genießen feinstes Segeln.
Als es dunkel ist, sehen wir es im Wasser glitzern. Bioluminiszente Organismen funkeln neben dem Boot, angeregt durch unsere Begegnung. Für mich ist es immer wieder magisch, das zu beobachten.
Dieser Tag ist wie ein Spiegel unserer langen Reise: verrückt und lebendig, abenteuerlich und lustig, bewegt und bewegend, beglückend.
Flexibel sein und annehmen, was gerade ist, unbedingt getragen vom gemeinsamen ‚Wir’ unserer kleinen Gemeinschaft.
Wir setzen unseren Weg fort Richtung Falklandinseln. Keine 400 Meilen trennen uns mehr vom Endziel unserer Reise.
Wir werden loslassen müssen und Abschied nehmen – von der Selma und von einander. Das Herz und den Kopf voll von unzähligen wunderbaren Erinnerungen an unsere phantastische Reise.
Noch aber ist es nicht soweit. Noch bleiben uns einige Tage, etliche Meilen, ein zu feiernder Geburtstag, Wind, Flaute, Sonne, Wellen…