Endlich segeln!
Was für ein famoser letzter Segeltag!
Besser hätten wir es nicht haben können. Vor allem nach den letzten Tagen, in denen uns der Wind immer wieder im Stich gelassen hat und die Drake meist so zahm war wie ein Schoßhündchen, haben wir dies kaum noch zu hoffen gewagt.
Die letzten einhundert Meilen nach Port Stanley sind wir geflogen.
Meine Wache, morgens von 2.00 bis 6.00 Uhr, war bis auf den anfänglich sternklaren Himmel noch wenig vielversprechend. Ein Wechselspiel zwischen kein Wind und kaum Wind und dies aus allen Richtungen. Nichts, womit man etwas anfangen hätte können.
Also haben wir die Selma sich selbst überlassen und ich über ihre Drift gewacht. Meine Gedanken ebenfalls driften lassen.
Ab und an habe ich das Ruder ein Grad mehr nach Steuerbord oder Backbord gerichtet, um unseren Kurs zu halten. Dabei versucht, den Windmesser zu hypnotisieren. Die Zahl der Knoten in die Höhe zu treiben, den Zeiger der Richtung zu stabilisieren. Manchmal hat dies für einen kurzen Zeitraum funktioniert, immer dann, wenn eine große dunkle Wolke über uns hinwegzog. Aber nie konstant genug, um die Segel zu setzen. Und so harrte ich ungeduldig einer heranziehenden dunklen Front entgegen, in der Hoffnung, dass diese uns endlich den ersehnten Wind bringen möge. Piotr kam derweil in den Genuss einer extra Portion Schlaf.
Und dann, gegen sieben, waren wir plötzlich und endlich raus aus dem blauen Loch der Flaute. Von jetzt auf gleich. Von blau zu rot. Von null auf knapp 40 Knoten Wind. Und eine hohe Dünung, gemixt mit steilen Wellen.
Was haben wir uns gefreut, endlich wieder richtig segeln zu können. Haben uns abgewechselt am Steuer, die Wachen getauscht, so dass jeder noch einmal in den Genuss kam. Haben mit leuchtenden Augen jede Minute am Ruder ausgekostet. Sind mit bis zu 12 Knoten über schaumkronengespickte 6 Meter Welle gesurft und haben dabei immer wieder eine ordentliche Salzwasserdusche abbekommen. Egal – wir hatten einen Riesenspaß dabei. Genau wie die Albatrosse und Sturmvögel, die um uns herum in Hochgeschwindigkeit durch die Luft und durch die Wellentäler gesegelt sind.
Land in Sicht
Die Zahl der Vögel nahm mit jeder Stunde zu. Immer wieder trieb Kelp auf der Oberfläche vorbei – Anzeichen dafür, dass wir uns langsam aber sicher Land näherten. Am späteren Nachmittag haben wir zwei Fischtrawler passiert. Dann kamen die Falklandinseln in Sicht, und damit eine Landmarke, die das Steuern inmitten der Wellenberge erheblich erleichtert hat.
Eine Gruppe Delphine (Stundenglas-Delphine, wegen ihrer wie eine Sanduhr geformten weißen Zeichnung wegen so genannt) tauchte plötzlich auf und begleitete uns für eine Weile. Spielte mit Selmas Bugwelle. Die eher kleinen Vertreter ihrer Art tauchten und sprangen um die Wette, blitzschnell im schäumenden Wasser. Schwammen von links nach rechts, mal neben uns, mal unter uns hindurch. Sie schienen Spaß zu haben, genau wie wir. Einer von ihnen sprang tatsächlich in hohem Bogen vorn über Selmas Bug. Am Steuer stehend traute ich meinen Augen kaum, nahm sprachlos und staunend diesen ganz besonderen Abschiedsgruß entgegen.
Stanley
Der Leuchtturm von Cape Pembroke kam in Sicht, überall entlang der flachen Küste und an vielen vorgelagerten Felsen warf sich die See gegen das Land, sah man die Gischt meterhoch spritzen. Wir haben nur noch die Fock stehen lassen. Die Abendsonne kam heraus, vergoldete die letzten Meilen, tauchte die Küste und uns in zauberhaftes Licht, die Landschaft in wunderbar warme Farben. Flach und Gelbgrün, zum Teil mit hohem Tussock Gras bewachsen präsentierten sich die Inseln.
Mit immer noch acht Knoten Fahrt sind wir in die Bucht von Port William und durch die Engstelle zwischen Navy und Engineer Point nach Stanley Harbour hinein gekreuzt. Hatten als Team an Deck alle Hände voll zu tun. Vier Wenden später hatten wir Stanley vor Augen, war es Zeit, das letzte Segel zu bergen. Den uns zugewiesenen Ankerplatz anzusteuern. Bei dem Wind hätte man auch nur ungern an der Pier angelegt. Und mir war es mehr als recht, das Land, die vielen Lichter und Geräusche der Stadt noch etwas auf Abstand zu halten.
Ein letztes Mal ließen wir den Anker ausrauschen. Und waren plötzlich am Ziel.
Nach gut 3.000 Seemeilen angekommen in Port Stanley auf den Falkland Inseln.
Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus. Ungläubigkeit. Wehmut. Am Tag zuvor war es noch so zäh, das Ziel weit entfernt… und jetzt: Irgendwie in den letzten Stunden viel zu schnell verflogene Meilen. Von einhundert sozusagen schlagartig wieder zurück auf Null. Diesmal endgültig.
Mit jeder Umarmung teilten wir Freude und Dankbarkeit, es gemeinsam geschafft zu haben. Aber gleichzeitig auch die langsam bewusst werdende, schmerzhafte Erkenntnis, dass dieses gemeinsame Abenteuer nun vorbei ist. Wir auch wieder loslassen müssen.
Und so stand nicht nur ich einen Moment für mich allein gedankenverloren irgendwo an Deck, den Blick mal Richtung Stanley, mehr aber zurück Richtung Meer in die Ferne gerichtet. Versucht, den Augenblick festzuhalten. Alles festzuhalten. Viele Momente der letzten Wochen gingen mir durch den Kopf. All das Erlebte, Durchlebte, Erreichte. Unser gemeinsames Sein an Bord der Selma.
Es wurde Zeit, darauf anzustoßen. Die am 15. Februar an Shackletons 150. Geburtstag angebrochene Flasche Whisky hatte ich für diesen Moment aufgehoben. An Deck, in der Dunkelheit, vor den Lichtern der Stadt ließen wir die Gläser klirren. Die richtigen Worte zu finden, fiel schwer.
Mit Shackleton und einer Idee fing alles an. Mit einem Glas Shackleton haben wir vor mehr als einem Jahr, im Dezember 2022, unsere gemeinsamen Pläne besiegelt, während einer Zoom Konferenz, damals jeder vor dem Bildschirm an einem anderen Ort dieser Welt. Wir – bis auf emails und einige digitale Treffen – einander völlig unbekannt. Gestern, hier in Stanley, haben wir dieses Abenteuer nun als Freunde mit einem Glas gemeinsam zu Ende geschrieben. Mit Neptun einen großen Schluck geteilt, dankbar für den glücklichen Verlauf und Abschluss unseres Vorhabens.
Es braucht eine Weile, dieses Vorbei-Sein annehmen zu können, bei mir jedenfalls. Zuerst ist da mehrheitlich Sentimentalität, Traurigkeit, eine gewisse Leere. Doch ein wenig tröstet dieser letzte famose Segeltag darüber hinweg, dass wir nun angekommen sind. Und unsere Reise – zumindest die auf der Selma – hier in ein paar Tagen zu Ende sein wird. Noch haben wir jedoch Zeit, anzukommen in dieser so ganz anderen Welt als jener der letzten Wochen. In der Zivilisation, andere Geräusche zu hören (Autos), andere Menschen zu treffen, andere Dinge zu sehen.
Drei Tage, die wir noch alle gemeinsam an Bord der treuen Selma verbringen können. Zum langsam Abgewöhnen sozusagen. Und danach noch eine weitere Woche hier auf den Falklands.