Innehalten

Was für ein wunderbarer Moment:

Ich sitze in der Sonne an Deck, warm eingepackt, denn es ist empfindlich kalt. Das Steuerhaus der Selma bietet ein wenig Windschatten. Der Wind weht kräftig, mit heftigen Böen aus Süd, die an der Ankerkette zerren. Doch wir liegen gut geschützt in einer Bucht auf der Nordseite von Beak Island in der Duse Bay im Weddell Meer. Draußen treiben Eisberge in allen erdenklichen Formen und Schattierungen von weiß, grau und blau vorbei, das Wasser ist bedeckt von Schaumkronen. Hier lagen wir bereits vorgestern und wissen um den guten Schutz vor Wind und herein driftendem Eis. Die Möglichkeiten sind aufgrund des aktuell starken Windes und vieler von Eis blockierten oder von treibendem Eis bedrohten Buchten momentan beschränkt.

Fast der gesamte Rest der Crew ist an Land unterwegs. Ich nutze die Zeit der Ruhe an Bord für eine kleine Pause, zum Innehalten. Die letzten Tage waren sehr intensiv, angefüllt voller Erlebnisse, magischer Momente, Entdeckungen, Begegnungen… ich habe sie, wir alle haben sie genossen und aufgesogen wie ein Schwamm. Die Drake Passage, die ersten Schritte auf antarktischem Boden, die faszinierende, weite Landschaft, der eisige kräftige Wind, Eisberge, Eisschollen, Treibeis, Packeis … die bereits jetzt schon zahlreichen Begegnungen mit Tieren, darunter Buckelwale, Orcas, Finnwale, Pelzrobben, Weddellrobben, Seeleoparden, Seeelefanten, verschiedenen Pinguinarten und zahlreiche Seevögel.

All diese Eindrücke, einer schöner und überwältigender als der andere, wollen erst einmal verarbeitet werden, sortiert…die Festplatte ist sozusagen voll und braucht etwas Wartung.

Die Tage verschwimmen, driften ineinander wie das treibende Eis ringsum. Was war gestern? Was vorgestern? Manchmal ist dies schwer zu unterscheiden, irrelevant sowieso. Hier und Jetzt ist der Maßstab in der Antarktis. Jeder Moment etwas besonderes, ein Geschenk. Pures Glück, hier zu sein, diesen wunderbaren Teil unserer Erde erleben zu dürfen, entdecken zu können. Boden zu betreten, den nur selten – wenn überhaupt – ein menschlicher Fuß berührt hat. Gipfel zu erklimmen, oft namenlos und – verglichen mit alpinen Maßstäben – nicht besonders hoch, die dennoch mit einer Aussicht aufwarten, die einem schlicht den Atem raubt (wenn’s der oftmals starke Wind nicht ohnehin schon tut). Grandiose Panoramen, die kein Foto oder Video letztendlich einzufangen vermag. In ihrer Größe und Weite überwältigend und maßstabslos. Riesige Eisberge sprenkeln die Buchten und den Ozean, sie wirken von oben oder aus der Entfernung lediglich wie crushed ice, die Dimensionen verschieben sich. Aufgrund der klaren Luft sind Entfernungen für das ungeübte Auge nicht oder nur sehr schwer einzuschätzen. Küstenlinien oder Eisberge die nur eine Handbreit entfernt zu sein scheinen, liegen oftmals noch ein paar Meilen entfernt.

Grandios mitunter auch die Wolken am Himmel. Starke Höhenwinde produzieren Föhnlinsen und riesige Wolkenwalzen, die dramatisch über uns hinweg jagen. Wenn dann zu Zeiten der Dämmerung noch das magische Licht des antarktischen Spätsommers dazu kommt, mit seinen mal sanften, mal kräftig intensiven Farben, die den Himmel ein ein Feuerwerk verwandeln, ein Meer aus Licht und Farbe, wird man ganz sprachlos und ehrfürchtig angesichts dieses Naturschauspiels.

Ganz wunderbar ist auch die Crew und das gemeinsame Leben an Bord. Wie schön, mit genau diesen zehn Menschen hier zusammen zu sein. Auch das ist ein Geschenk und großes Glück: Da finden sich im Laufe anderthalb Jahre acht gänzlich verschiedene, einander bis dato unbekannte Menschen zusammen, die aus teils völlig unterschiedlichen Ambitionen und Beweggründen dieses Abenteuer teilen wollen. Plus ein ebenso unbekanntes Skipper-Team. Und hier an Bord der Selma, wo es mitunter eng zu geht, wo es gilt, als Team zu funktionieren, aufeinander Rücksicht zu nehmen und acht zu geben, sich aufeinander verlassen zu können, erweist sich diese Kombination bisher als ein Glücksgriff, als ausgewogen, harmonisch, als gute und humorvolle Gruppe. Jeder einzelne mit seinen Eigenheiten bereichert das Leben an Bord, die gemeinsamen Wachen laufen Hand in Hand. Alle untereinander, aber besonders Piotr, Wojtek und Ewa sorgen mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit für unser Wohlbefinden, ob beim Segeln, bei Manövern, während und zwischen den Wachen, beim Landgang … vor allem aber in kulinarischer Hinsicht. Gutes Essen = genug Energie = positive Stimmung – das ist eine einfache Gleichung. Und diese geht auf, ob bei den Mahlzeiten, die das jeweilig zuständige Küchenteam zubereitet, bei Kaffee und Tee zwischendurch oder bei den unglaublich leckeren und mit viel Liebe bereiteten Desserts und Leckereien von Ewa und Wojtek. Keinen einzigen dieser Menschen hier auf dem Boot, diesem kleinen eigenen Selma-Kosmos, den wir zu elft bevölkern, möchte ich missen, und ich freue mich über jeden gemeinsamen Tag, den wir hier noch verbringen werden.

Während der ersten Tage unterwegs, die vor allem in der Drake Passage, aber auch hier im meteorologisch instabilen und eislastigen Weddell Meer viel Aufmerksamkeit und Energie während der Wachen und Schlaf zwischen denselben verlangt haben, fehlte noch ein wenig die Ruhe für entspannte und vertraute Zwiegespräche … aber mit zunehmender Gewohnheit werden wir auch dafür ausreichend Zeit haben und finden. Auch Tage wie dieser heute sind dafür perfekt.

Drift

Es ist still, ab und an plätschert eine kleine Welle. Nur den Käptn höre ich in seiner Koje im Ruderhaus leise schnarchen.

Den „Eiskrimi“ zu Beginn der letzten Nacht habe ich verpasst, meine Wache begann erst 2:00 Uhr, da waren wir gerade raus aus dem dichten Eis, in welches wir in einer Bucht geraten waren, auf der Suche nach einem geschützten Ankerplatz.

Nun driften wir in freiem Wasser, wie ein Geisterschiff, führerlos, das Ruder voll backbord eingeschlagen um den Windangiff am Mast auszugleichen.

Alle, vor allem Pjotr und Woij ruhen sich aus, nehmen eine Mütze Schlaf.

Ich sitze, die Augen aufs Radar gerichtet und wache über das Geschehen. Diese Insel vorab sieht so nah aus, aber laut Radar ist es fast eine Meile. Entfernungen lassen sich hier viel schwerer schätzen, es gibt keine Referenzpunkte, nachts ist es noch schwerer. Draußen gibt es den ersten rötlichen Streifen am Horizont.

Eine Stunde später frischt der Wind auf, wir driften mit 1,5 Knoten auf die Insel zu. Also Pjotr wecken, Motor an und in einen Sonnenaufgang fahren, der so farbenprächtig ist, dass es fast zu kitschig ist.

Alan hat seine Wache begonnen, wir genießen das Schauspiel der Morgenstunde, als auch noch Orcas erscheinen, eine ganze Familie ist in der Bucht. Zwei tauchen plötzlich direkt am Boot auf, tauchen mehrmals darunter durch, bevor wir uninteressant werden und sie uns wieder verlassen.

Schon mehrmals habe ich gedacht, besser geht nicht mehr. Und täglich toppt die Natur unser Abenteuer mit wieder neuen magischen Momenten. Das erklärt das glückliche Dauergrinsen in den (manchmal müden) Gesichtern der Crew 🙂 !

Gipfelglück

Beak Island

Die Beine mal richtig bewegen, Beak Island erkunden, Wanderlust mit Entdeckergeist verbinden, das war die Idee.

So sind wir losgezogen, um das kleine Inselchen zu erkunden, welches mit der geschützten Bucht einen guten Ankerplatz für uns bietet.

Hier sind etliche Robben zu Hause und ein paar einzelne Pinguine, vor allem aber ist Beak Island Skua-Land. Die großen Vögel nisten hier als Bodenbrüter. Die Jungen haben das Nest schon verlassen, sitzen aber noch herum und werden von den Eltern engagiert beschützt, indem diese versuchen, uns mit Kreischen und Angriffsflügen fernzuhalten. Der ein oder andere Skua ist unseren Köpfen dabei bedrohlich nahe. Wir versuchen, die Jungen weiträumig zu umgehen und uns mit hochgehaltenen Wanderstöcken zu schützen.

Unser Grüppchen trennt sich nach einer Weile. Einige wollen Zeit haben, um in Ruhe zu schauen und zu fotografieren, Karen und ich möchten auf den höchsten Punkt laufen, Jan schließt sich uns an.

Etwas mehr als eine Stunde benötigen wir, um auf dem Geröllfeld der Bergflanke nach oben zu steigen. Hier bietet sich ein grandioser Rundblick auf die Insel, die Meeresarme und die Bergwelt ringsum.

Der Gipfel ist nur knapp 400m hoch, dennoch stellt sich durch den steilen Anstieg, die schroff zum Meer abfallende Klippe und die windumtoste Spitze mit Gipfelmarkierung das Gefühl eines richtigen Gipfelerfolges ein. Wir sind glücklich und natürlich gibt es ein Gipfelfoto.

Zurück auf dem Boot folgt ein weiteres Highlight des Tages: Duschen 😃!

Dieses wunderbare Angebot nutzte jeder, das Gefühl danach, sauber in frischer Unterwäsche verpackt ist himmlisch. Faszinierend auch, dass 11 Menschen in weniger als eine Stunde unsere Mini-Nasszelle sauber verlassen. Wofür brauchen wir eigentlich große Bäder, stundenlange Sessions im Bad und große Wassermengen zu Hause, wenn’s so einfach geht?

Drake II

Team-Spirit

Ich liebe das Leben an Bord mit dieser Crew!

Das Wachsystem funktioniert super und jeder ist zuverlässig an seinem Posten, stets auch die anderen im Blick. Ich bin noch nie so oft am Tag lieb mit Tee, Kaffee und Keksen versorgt worden. Leckeres Porridge mit Früchten am Morgen und mindestens eine warme Mahlzeit vom Kombüsenteam (immer zwei andere Crewmenschen, Teil des Wachplans) gibt es auch.

Die Laune ist fast immer gut und wir haben jede Menge Spaß miteinander. Individuelle Besonderheiten Einzelner sind eher das Salz in der Suppe und werden mit Humor toleriert.

Danke Neptun!

Wir haben die Drake gemeistert und sind nun auf dem Weg ins Weddelmeer.

Die gefürchtete Wasserstraße war ziemlich zahm, die Hälfte der Meilen mussten wir mit Motorunterstützung segeln. Etwa 24h hatten wir guten Wind und die Selma hat sich als prächtiges Boot erwiesen, das unter Segeln wunderbar läuft.

Es gab schon erste Walsichtungen, Delfine begleiteten uns, wir sahen schwimmende Pinguine, eine neugierige Robbe und immer wieder natürlich verschiedene Seevögel.

Wettertechnisch gabs Sonne und Regen, die ersten Eisberge tauchten angemessen mystisch aus dem Nebel auf.

Am Freitag, 9. Februar, hatten wir gegen 18:00 Uhr Robert Island an backbord und damit die Shetlandinseln und Antarktische Halbinsel erreicht.

Danke Dir Neptun für Dein sicheres Geleit!

Planänderung

Pläne sind so eine Sache. Besonders hier unten, tief im Süden. Hier ist der Mensch nur ein klitzekleines Rädchen im unendlich größeren Lauf der Natur. Man muss flexibel sein und reagieren, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Damit haben wir natürlich gerechnet – sich dem Wetter, dem Wind und den mitunter recht harschen Launen der Natur anpassen zu müssen. Deshalb gab und gibt es auch nur eine grobe Route und einen ungefähren Zeitplan, an der / dem wir uns entlang hangeln wollen, so wie es uns die Antarktis eben erlauben würde.

Das zu den Dingen, die unsere Pläne durchkreuzen würde ein Virus gehören könnte, damit haben wir jedoch nicht gerechnet. Doch leider ist dies mit dem hochpathogenen Vogelgrippe Virus der Fall.

Bereits zu Jahresbeginn war klar, dass der Nachweis des Virus in Südgeorgien und dessen Ausbreitung unser Vorhaben und die Möglichkeiten, in Südgeorgien anzulanden und sich dort bewegen zu können, beeinflussen würde. Selbst zu „normalen“ Zeiten ist es nicht leicht und mit zahlreichen Auflagen verbunden, überhaupt eine Genehmigung für den Besuch dieser einzigartigen subantarktischen Insel zu bekommen.

Nach Ausbruch der für zahlreiche Seevögel, aber auch Meeressäuger verheerenden Krankheit haben die Behörden schnell und klar reagiert, kompromisslos die Natur, die einzigartige Tierwelt der Insel und deren Schutz über alles andere gestellt und – auf das Ausbruchsgeschehen reagierend – nach und nach immer mehr Regionen zunächst teilweise, später komplett für Besucher geschlossen.

Ende Januar waren bereits fast alle Landestellen geschlossen und es wurde klar, dass wir unsere ursprünglichen Pläne wohl ändern müssen. Die historischen Orte, die Spuren Shackletons, seine letzte Ruhestätte … genauso unerreichbar wie die Tierwelt auf der Insel. 800 Seemeilen dorthin durchs Südpolarmeer und von dort zu den Falklands zu segeln und dann kaum oder möglicherweise gar nirgends an Land gehen zu können, macht daher nicht wirklich Sinn.

Das zu akzeptieren, war schwer und fällt noch immer nicht leicht. Schließlich war Südgeorgien ein zentraler Teil unseres Vorhabens. Wir haben viel hin und her überlegt, wie wir damit umgehen. Doch wie so oft hat jede Medaille zwei Seiten, kann sich auch aus negativen Dingen etwas Positives ergeben oder einfach gesagt: Jeder Scheiss ist eine Chance.

In unserem Fall heißt diese Chance Weddell Sea und / oder weiter nach Süden. Zum einen, weil wir die Zeit nun anderweitig nutzen und weitere Ziele ins Auge fassen können. Zum anderen, weil die diesjährige Eissituation es tatsächlich zulässt, in diesen aufgrund der schwierigen Eisverhältnisse – üblicherweise dichtes Packeis bis weit in den Norden – Teil der Antarktis, auf der Ostseite der Antarktischen Halbinsel vorzudringen. Eine Region, die nur sehr selten besucht und besegelt werden kann. Das Meer, das Shackleton und seiner Expedition zum Verhängnis wurde, deren Packeis die Endurance einschloss, zerdrückte und schlussendlich zu ihrem Grab wurde. Die Seite der Peninsula, auf der es zahlreiche selten besuchte Orte und noch viel Unbekanntes zu entdecken gibt. Und die historisch neben Shackleton auch mit anderen großen Namen, bsp. Otto Nordenskjöld und seiner Schwedischen Antarktisexpedition mit der Antarctica (1901-1904) verbunden ist.

Und so verzichten wir schweren Herzens auf Südgeorgien. Stattdessen wollen wir diese unverhoffte Chance ergreifen, wenn sie sich denn bietet und nehmen nun zunächst erwartungsfroh Kurs auf die Ostseite der Antarktischen Halbinsel, auf den Antarctic Sound und das Weddell Meer. Schließlich sind wir hier, um zu entdecken – und was gibt es Spannenderes, als wenn es sich dabei um unzugängliche und weniger bekannte Flecken dieser Welt handelt.

Drake the Lake und Drake the Shake

Wir haben’s geschafft!

Nach vier Tagen und Nächten liegt die Drake Passage hinter uns, gut 530 Seemeilen im Kielwasser. Sie hat uns gnädig empfangen, diese berüchtigte Ozeanpassage zwischen Pazifik und Atlantik, sich mit blauem Himmel und Sonnenschein mal von der sanften und harmlosen Seite präsentiert, aber zeitweise auch mal die Krallen ausgefahren und uns für einen Tag und eine Nacht spüren lassen, dass es hier so richtig ungemütlich werden kann.

Wenn man draußen am Ruder steht, dick vermummt, schwere, bewegte See und eine hohe Dünung, knapp 40 Knoten Wind im Gesicht, Regen und immer wieder eine ordentliche Salzwasserdusche über einen prasselt … gleichzeitig aber auch ein tolles Gefühl, dann allein am Ruder zu stehen, die Selma unter voller Besegelung (Klüver, Groß und Besan) unter den Händen zu spüren, sie laufen zu lassen in die wilden Wellen, die den Horizont immer wieder verbergen, hinaus in den weiten Ozean, nach Süden, hinein in die Nacht. Fast so, als ob sie wissen würde wo wir hinwollen, findet die Selma ihren Weg von allein.

Tag 1

Wir sind bei Sonnenschein gestartet, haben das berühmte Kap Horn knapp 16 Seemeilen an Steuerbord liegen und dann im Kielwasser hinter uns gelassen. Albatrosse tauchten immer wieder auf und umkreisten einen Moment das Schiff. So elegant und mühelos glitten sie über die Wellenberge und -Täler – ein Traum vom Fliegen und Freude, ihnen dabei zuzusehen. Aus dem anfangs blauen Himmel begann es irgendwann zu nieseln, das Wetter schlug um, ebenso wie der Zustand von einem der Crew, welcher die Passage seekrank in der Koje verbrachte. Der Rest erwies sich als seefest.

Der Wetterumschwung brachte glücklicherweise auch ordentlich Wind. Wir änderten den Kurs von 180 auf 140 Grad und nahmen Kurs auf die Shetlands.

Tag 2

Der Mittwoch war ungemütlich, nach vier Stunden Wache war jeder froh, wieder ins warme zu kriechen, einen heissen Tee, Kaffee oder eine warme Suppe in der Hand. Dank der unermüdlichen Aufmerksamkeit vor allem von Piotr, unserem Skipper, Wojtek, Ewa und dem jeweiligen Galley-Team ist dafür jedoch stets gesorgt.

In der Nacht zum Donnerstag blieb es rau, in der Koje war es zwar wärmer und trocken, aber nicht unbedingt gemütlicher als am Ruder. Besonders im Vorschiff unmittelbar den Schiffsbewegungen ausgeliefert, rollte und hüpfte man mit der Selma auf, in und über die Wellen, während es ordentlich rumpelte, wenn der Bug in eine Welle krachte oder eine mächtige Welle übers Deck schlug. An Schlaf war nicht wirklich zu denken. Gegen Mitternacht überschritten wir die Antarktische Konvergenz und es wurde draußen und auch im Boot merklich kälter.

Tag 3

Der Donnerstag brachte Sonnen und bissige Kälte, leider aber auch nachlassenden Wind, so dass wir am Nachmittag bei nur noch 12 Knoten leider den Motor zur Unterstützung nehmen mussten … das hätten wir in der Drake Passage nun wirklich nicht erwartet.

Zum Trost gab es aus unseren Porridge-Resten vom Frühstück der letzen zwei Tage den Versuch eines Blechkuchens – wir tauften ihn kurzerhand Drake-Cake.

Am Abend sichteten wir auf 60.44 S 062.33 W den ersten Eisberg am Horizont. Ab jetzt hieß es also Ausschau halten.

Tag 4

Die letzte Etappe am Freitag, mal unter Segeln, nach Abflauen des Windes leider wieder auch unter Zuhilfenahme des Motors beschert uns die ersten Vorboten der Antarktis: wir sichten die ersten Wale – dem Blas kurz vor der Selma folgt wenig später der zugehörige Finnwal unmittelbar neben dem Schiff, wo er dann abtaucht. Immer wieder springen Pinguine neben uns aus und wieder ins Wasser, einzelne Robben folgen. Es wird neblig, immer mehr Eisberge und auch kleinere Growler kreuzen unsren Kurs. Und irgendwann taucht schemenhaft die erste Landmasse der Antarktis wie ein Schatten aus dem Nebel auf. Zunächst nur ein kleiner Felsen, watchkeeper genannt, dann Heywood und Table Island, mehr Felsen als Inseln … und dann segeln wir zwischen Robert und Greenwich Island in die Bransfield Strait.

Nun sind wir angekommen in der Antarktis!

Viel mehr als einen schmalen Küstenstreifen, dunkle Felsen, Schnee und Gletscherkanten können wir im Dunst noch nicht erhaschen. Doch dies wird sich in den kommenden Tagen sicher ändern!

Drake I

Mittwoch 07. Februar, Vormittag

Kap Horn und die Drake Passage. Das hatte ich mir wild und rau vorgestellt mit meterhohen Wellen und heroischem Segeln. Immerhin gilt die Querung von Feuerland in die Antarktis als stürmischste Wasserstraße der Welt. Stattdessen motoren wir durch eine Flaute und die gute Selma schaukelt sich durch die Dünung. Die Seekrankheit geradezu herausfordernd findet sie ein Opfer. Die restliche Crew erweist sich bisher als seefest.

3 Tage Puerto Williams

Die vorherigen Tage in Puerto Williams waren gefüllt mit diversen Aktivitäten und letzten Reisevorbereitungen und eine wunderbare Gelegenheit für die ganze Crew, sich besser kennenzulernen.

Nach behördlichem Einklarieren in Chile unternahmen wir eine Wanderung auf den Cerro la Bandera, genossen einen fabelhaften Ausblick auf den Beagle Channel und die Bergwelt ringsum und das Gefühl, die Beine nochmal ordentlich bewegt zu haben.

Auf der Selma gab es von Wojtek eine Sicherheitsunterweisung, von Ewa eine Einführung in Küche und Organisation auf dem Schiff und natürlich von Pjotr erste Lektionen zur Handhabung von Segeln, Leinen, Winschen etc.

Das Mountaineering Team checkte Ausrüstung, letzte Einkäufe wurden erledigt, ein letztes Mal geduscht.

„Don‘t stop me now“ (Queen)

😃 Und wir entdecken: unsere Crew kann feiern!

In der südlichsten Bar Amerikas war die Einteilung des Wachplans nach einem Pisco Sour schnell erledigt. Während wir am ersten Abend auf unser Abenteuer anstroßen und uns Geschichten erzählten, wurde am zweiten Abend wild und voller Lebensfreude getanzt bis weit nach Mitternacht nach unseren Lieblingssongs.

Leinen los

Und dann ist es soweit: am Montag, 5. Februar, abends gegen 19 Uhr werfen wir die Leinen endgültig los und verlassen Puerto Williams mit dem Ziel Antarktis. Die Expedition Sailing SOUTH 2024 kann starten.

Die letzen Tage haben gezeigt, dass wir menschlich und als Team gut harmonieren – ob sich dies auch auf See und für die lange Zeit von sieben Wochen auf dem engen Raum der Selma bestätigt, wird sich zeigen. Aber die Zeichen stehen gut. Die Stimmung an Bord ist prima, alle an Deck haben ein breites Grinsen im Gesicht.

Wir verlassen unter Motor den Beagle Kanal in Richtung Osten, das Wetter zeigt sich zum Abschied von seiner besten Seite und beschenkt uns mit Sonne und warmem Abendlicht. Vorbei ziehen Harberton Bay, wo wir noch vor wenigen Tagen waren. Die Erinnerung an Pablo, seine kleine Hütte und den im Vergleich dazu riesengroßen Stapel Brennholz ist noch frisch. Wenn Mitte Februar die zweite Lastwagenladung kommt, werden wir unterwegs sein.

Wir sehen aus der Ferne den Blas zweier Wale, zwei Pinguine tauchen unmittelbar neben der Selma aus dem Wasser. In der Nähe gibt es auf einer Insel eine Pinguinkolonie (Magellanpinguine), der Geruch verrät dies sofort selbst im Vorbeifahren.

Ursula und ich teilen uns die erste Wache und damit auch das Steuer. So schön und verheißungsvoll die ersten Tage auch waren: Es ist so wunderbar, nun endlich hier am Ruder der Selma zu stehen und diese Reise zu beginnen, unser schönes, rotes Schiff und uns hin zu unserem eigentlichen Ziel zu steuern.

Feuerland zieht an uns vorbei, Argentinien an Backbord, Chile an Steuerbord.

Wir auf der Selma mittendrin gleiten, die untergehende Sonne hinter uns, hinaus in die Nacht.

Die letzten chilenischen Inseln im Beagle Kanal, die Isla Picton und Isla Lennox lassen wir Steuerbords liegen und dann sind wir draußen auf dem Atlantik und ändern den Kurs auf 180 Grad Süd.

Vor uns liegt mit der Drake Passage eine der stürmischsten Ozeanpassagen der Welt. Wir alle sind neugierig, wie die Drake uns die kommenden Tage empfangen wird.

In tiefer Nacht setzen wir die Segel, zuerst die Fock, dann das Groß. Über uns strahlt die Milchstraße und zieht sich vom Bug bis zum Heck übers Firmament, das Kreuz des Südens küsst ab und an unsere Mastspitze. Dieser Moment ist einfach pures Glück und tiefe Zufriedenheit.

Puerto Williams, Isla Navarino

Da die Wetterprognose für die Drake Passage ein ausgewachsenes Sturmtief vorhersagt, haben wir zwei Tage Zeit in Puerto Williams auf der Isla Navarino.

Wir liegen an einer Mooring Boje gut geschützt vor dem kräftig blasenden Wind aus West, zum Landgang setzen wir mit dem Dinghi an den Steg des hiesigen Yachtclubs Micalvi über. Dieser ist auf einem ehemaligen deutschen Rheindampfer beherbergt und dient gleichzeitig als Anleger für Segelboote. Unzählige Flaggen und Wimpel bisheriger Boote schmücken Wände und Decke, auch wir hinterlassen unsere Spur in Form eines Sailing SOUTH 2024 Stickers.

Auch wenn Puerto Williams genau wie Ushuaia den Titel der südlichsten Stadt der Welt für sich beansprucht, ist Stadt vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Gut 2.300 Einwohner leben hier, ca. 67.000 sind es in Ushuaia. So ist das Zentrum von Puerto Williams überschaubar, der zentrale Platz und auch die Gebäude eher klein.

Genauso unscheinbar wie die Stadtmitte ist auch ein kleines Denkmal in unmittelbarer Nähe davon, welches wir fast übersehen: Hier steht ein Teil des Bugs der Yelcho, jenes chilenischen Marineschiffes, mit dem Shackleton am 30. August 1916 unter Kommando von Luis Pardo schließlich nach mehreren gescheiterten Versuchen seine 22 zurückgebliebenen Männer von Elephant Island rettete.

Tag 1 – Cerro Bandera

Das Wetter ist uns wohlgesonnen, ein Teil entscheidet sich für eine Wanderung auf den Cerro Bandera, auf dessen Gipfel die namensgebenden chilenische Flagge weht und eine grandiose Aussicht den steilen Aufstieg belohnt. Zunächst durch wilden Urwald nicht nur einmal den richtigen Pfad suchend kommen wir vor allem im extrem steilen, über offenes von Sträuchern, Beeren und Flechten bewachsenes Gelände oberhalb der Baumgrenze ordentlich ins schwitzen – wer hätte das gedacht, dass uns selbst im Unterhemd noch zu warm ist … doch oben angekommen weht die Flagge stramm im kräftigen Wind. Schnell sind Pullover, Jacken und Mützen wieder angezogen. Die Aussicht auf den Beagle Kanal, Puerto Williams bis weit nach Ushuaia im Westen ist atemberaubend schön, majestätisch tronen die Dentes de Navarino über der Insel. Der frische Schnee der letzten Nacht ist bereits wieder verschwunden.

Tag 2

Am nächsten Morgen gibts eine ausführliche Einweisung ins und ums Boot, Sicherheit an Bord, Segel und Co. Die Wachen haben wir bereits am Vorabend bei Bier und Pisco Sour in der hiesigen Bar eingeteilt.

Den Rest des Tages erkundet ein Teil den Fluss und die Bucht mit dem Dinghi, das mountaineering Team kramt sämtliches Hochtouren Equipment aus den Tiefen der Bänke und Zwischenräume in der Messe und sortiert Gurte, Karabiner, Schlingen etc. Wir bereiten für jeden von uns passende Prusikschlingen vor und haben eine Menge Spaß, die Selbstrettung, den Aufstieg am Seil, oben an Deck zu üben und prusikken uns an zwei freien halyards hoch und runter.

Den Abend vor dem für den kommenden Tag geplanten Aufbruch verbringen wir alle gemeinsam in der Bar – es wird ein wundervoller, langer Abend, viel getanzt, gelacht und gesungen. Wer hätte gedacht, dass alle Crew Mitglieder gern da Tanzbein schwingen. Erst spät in der Nacht gehts mit dem Dinghi zurück an Bord in die Kojen.

Vor der Abreise am Montag steht erneut das offizielle Behördenprogramm bevor – das gleiche Prozedere wie bei der Einreise, diesmal in umgekehrter Reihenfolge. Erneut ziehen wir also los zur prefectura um nachzuweisen, dass wir nichts zu verzollen haben, keine Waren schmuggeln und auch nach zwei Tagen noch immer so aussehen wie die Fotos in unseren Pässen. Am Nachmittag fliegt Michael, der bisherige Skipper mit einem Heli nach Ushuaia und verabschiedet sich schweren Herzens von Bord der Selma.

Wir nehmen eine letzte Dusche auf der Micalvi, bunkern Frischwasser, verstauen das Dinghi wieder in der Vorpiek und sind startklar und bereit für den nun endgültigen Start nach Süden.

Aufbruch

Bevor es wirklich losgehen kann, stehen noch ein paar Dinge auf dem Programm: eine letzte größere Einkaufstour, erneutes Verstauen desselben und des letzten angelieferten frischen Gemüses. Vor allem aber die Formalitäten samt Zoll und Emigration-Prozedere. Dazu müssen wir am Nachmittag alle persönlich im Immigration Office am Hafen erscheinen. Das Warten auf die fertigen Papiere zieht sich, einige nutzen die Zeit für ein kurzes Nickerchen. Doch irgendwann, nach einem letzten offiziellen Abgleich eines jeden einzelnen Gesichtes mit dem Foto im Pass, sind wir frei und dürfen Argentinien verlassen.

Von Argentinien nach Chile

Das Wetter zeigt sich erstmals ungemütlich, es regnet und es weht ein straffer Wind aus Ost. Piotr entscheidet, dass wir erst gegen Mitternacht auslaufen, mit hoffentlich nachlassendem Regen und auf West drehendem Wind.

Nach einem Abendessen verziehen sich alle in ihre Kojen, um noch ein paar Stunden Schlaf zu tanken. Und um zwei Uhr nachts ist es dann soweit. Das Geräusch des startenden Motors und das geschäftige Treiben an Deck weckt alle auf. Plötzlich sind wir unterwegs, die Lichter Ushuaias werden im Kielwasser langsam kleiner und kleiner. Auch wenn es nur ein erster kurzer Schlag bis nach Puerto Williams ist, haben wir nun die Leinen losgeworfen. Es ist ein emotionaler Moment. Jeder steht an Deck und ist in diesen Minuten ganz bei sich, in Gedanken versunken. Zwei Jahre, Wünsche und Träume verdichten sich in diesem einen Augenblick, und es sind nicht nur die Regentropfen, die mir über die Wangen laufen.

Piotr und Woitek steuern die Selma und uns durch die nasskalte erste Nacht, ich werde morgens gegen sechs vom leicht verändert klingenden Motorengeräusch wach. Oben an Deck empfängt mich blauer Himmel und Sonnenschein, die letzte Meile nach Puerto Williams und die Isla Navarinho liegt vor uns, hinter uns hat der Regen der Nacht die höheren Lagen der argentinischen Bergkette zauberhaft weiß gezuckert. Nach und nach kriecht der eine oder andere aus der Koje. Wir machen unweit der Micalvi neben zwei weiteren Booten an einer Mooring Boje fest und nach einem Kaffee hieven wir das Dinghi aus der Vorpiek an Deck und machen es startklar für den Landgang.

Auf die Emigration aus Argentinien folgt die Immigration in Chile – auch hier ist dies eine umfangreiche und zeitaufwändige Prozedur. Im Yachtclub Micalvi füllen wir die persönlichen Papiere aus, Piotr ist dann mit all unseren und den Schiffspapieren unterwegs. Gut eine Stunde später dürfen auch wieder persönlich vorstellig werden, damit die Übereinstimmung von Passfoto und Realität final von offizieller Seite überprüft werden können.

Vorbereitungen

Knapp eine Woche sind wir nun am Beagle Kanal, nach und nach sind alle Teammitglieder in Ushuaia eingetroffen, und seit Dienstag sind wir komplett.

Welch ein Glück und wie schön, dass tatsächlich alle gesund und gut hier gelandet sind, samt guter Laune und einer Menge Vorfreude im glücklicherweise vollständigen Reisegepäck.

Wir haben gemeinsam ein großes Apartment bezogen und von hier aus die Stadt und Umgebung erkundet.

Obwohl das bisher einzige gemeinsame Treffen der Crew in Berlin fast ein Jahr her ist, können wir nahtlos daran anknüpfen. Der erste Eindruck bestätigt sich: Die Chemie passt.

Die Tage vergehen wie im Flug.

Wir wandern gemeinsam durch flechtenüberzogenen Urwald, genießen fantastische Ausblicke auf den Beagle Kanal und Ushuaia, teilen uns riesige Platten Carne Asado, probieren Pisco Sour und patagonisches Bier. Entscheiden uns für einen Tagesausflug nach Osten, der zu einem wunderbaren Tag wird, an dem ein Erlebnis schöner als das andere wird.

Wir laden die nach einer monatelangen Odyssee endlich eingetroffene Unterwasserdrohne ins Auto – im Apartment ist mehr Platz als auf der Selma – um sie zu testen. Leider stellt sich nach dem Auspacken zahlreicher Kisten und Kartons heraus, dass ein Teil des Zubehörs nicht zum Modell der Drohne passt. Die zweite, schwenkbare Kamera und auch ein Greifer, um Sedimentproben oder Ähnliches vom Meeresboden zu pflücken, werden wir leider nicht verwenden können. Aber nach einigem puzzeln, diversen Downloads und Updates ist zumindest der Rover einsatzbereit. Ein letzter Test im Wasser steht noch aus.

Wir bringen Unmengen Proviant aufs Schiff und verstauen alles, thematisch sortiert an Bord: Gemüse, Obst in der kühlen Vorpiek, Fleisch in der vom kalten Wasser umspülten Bilge, alles andere in den Tiefen der Selma, unter Bänken, Tisch und Bodenbrettern, zwischen Lehnen und der Bordwand, in Schränken, Schapps und Schubladen. Den Überblick zu behalten, was wo verstaut ist, fällt nicht leicht, aber es lässt sich mit Gewissheit sagen, dass wir selbst bei doppelter Reisezeit nicht darben müssen.

Das Mountaineering Team (Alan, Karen, Jan, Christiane and Piotr) checkt einen ersten Teil des Equipments – die Pulka-Schlitten werden vorbereitet, die beiden Zelte aufgebaut und auf Vollständigkeit geprüft – der stramm wehende Wind am Hafen gibt uns einen klitzekleinen Vorgeschmack und etwas Übung für schwierigere Bedingungen.

Am Donnerstag Abend bringen wir all unser Gepäck an Bord und beziehen die Kojen: Alan und Peter bekommen die ruhigste mittschiffs, Gerhard und Jan entscheiden sich für die Achterkoje, die Frauen ziehen ins Vorschiff: Karen und Ursula auf die Steuerbordseite, Unda und ich in die Backbordkoje.

Es wird unser erster Abend gemeinsam in der Messe der Selma, es fühlt sich gut an für den Moment und macht Lust auf die vielen, die noch folgen werden. Am nächsten Tag, Freitag, erwarten wir Wojtek und Ewa (unsere Co Skipper), und für Freitag ist auch unsere Abreise aus Argentinien geplant.